Profilbild von gwyn

gwyn

Posted on 28.6.2023

«Aus diesem Grund ist Martha blind vor Tränen, als sie um sieben Uhr morgens in die falsche Richtung die sanft geschwungene Auffahrt der Baxter’s Plantation hinuntergeht, eine Auffahrt, gesäumt von Palmen, an denen der Legende nach immer noch schwer die Seelen der Sklaven baumeln, die in Zuckerrohrsaft getaucht und hier angebunden wurden, um sie von den Bissen der roten Ameisen quälen zu lassen.» Die Legende von der einarmigen Schwester sollte Lala eigentlich davor warnen, was mit Mädchen geschieht, die ihren Müttern nicht gehorchen. Großmutter Wilma hatte sie ihr erzählt, wie deren Großmutter sie schon erzählte: Geh nicht in die Tunnel! Die Pfarrerstochter hatte die Warnungen ihrer Mutter nicht beachtet, war nachts hinausgeschlichen und verlor in den unterirdischen Tunneln ihren Arm, als sie einem Monster begegnete. Mit nur einem Arm kann man nicht das Haus fegen. So nimmt dich kein Mann zur Frau! Doch für Lala hört nicht auf die Oma, heiratet den falschen Mann und verliert gleich zu Beginn des Kriminalromans auf schreckliche Weise ihr Baby. Dieses tote Baby ist der Dreh- und Angelpunkt. «Alle wissen, dass Männer wie Tone zum festen Inventar des Strandes gehören, ein gebilligter Teil des Ökosystems, das dort gedeiht. Aber Tone ist an diesem Morgen kein Gigolo, Tone ist ein besorgter Liebender, und deshalb glaubt er, vielleicht Verdacht zu erregen.» Lalas Mann Adan ist ein charismatischer Typ, der Frauen anzieht, dem Männer gehorchen. Ein kleinkrimineller Bandenboss, der durch Brüche in Villen und kleinen Drogengeschäften sein Einkommen verdient, der aber nach Größerem strebt, dem fetten Drogengeld. In der Nacht, als Baby auf die Welt kommt, löst eine Kette von schrecklichen Ereignissen bei einem Einbruch etwas aus, das das Leben aller Beteiligen verändern wird. Ein Paar wacht auf, ein Handgemenge, ein Schuss löst sich, ein Mann verstirbt. Baxter’s Beach, Barbados, ein Karibikparadies für reiche Touristen. In diesem Noir-Roman wird die düstere Seite der Sonnenscheininsel beschrieben. Glimmer auf der einen Seite und bittere Armut der Einheimischen in Strandhütten und baufälligen Häusern auf der anderen: prekären Familienverhältnisse, toxische Männlichkeit, Drogen, Prostitution, Vergewaltigung und jede Menge Gewalt gegen Frauen. «… das Mal, als er sie, mit Baby immer noch in ihrem Bauch, am Gesicht packte, über die Kante der Betontreppe hielt … damit sie aufplatze wie eine Wassermelone, das Mal, als er ihr ein geschärftes Buschmesser so dicht an die Kehle hielt, dass sich, als er sie endlich losließ, eine dünne Linie mit Blutströpfchen quer über die Luftröhre zog; das Mal, als er sie über die fünfundzwanzig Stufen an den Haaren hinaufzerrte, so dass die Haarbüschel, die ihren Kampf bezeugten, am folgenden Tag die Treppe übersäten.» Oma Wilma konnte Adan nicht ausstehen, hatte Lala gewarnt. Und sie hat ihn doch geheiratet. Der Mann, der ihr befiehlt, was sie zu tun und zu lassen hat, der fremdgeht, der sie aus dem kleinsten Anlass grün und blau schlägt, würgt – selbst wenn er keinen Anlass hat. «Er drückt zu, und ihre Augen werden dunkel, verschleiern wie die Meeresoberfläche an einem regnerischen Tag, ein Meer, unter dessen Oberfläche sie weiter in die Stille sinkt.» Der Mann, der ein Mörder ist und der die Schuld an Babys Tod trägt. Lala will weg von hier! Nur wie soll sie es anstellen, wenn sie kein Geld besitzt – denn ihr Erspartes hat ihr dieser Mann heimlich geklaut. Das Geld, das sie mit dem Flechten von Zöpfen für Touristinnen hinzuverdient. Und da ist Tone, der seinen Unterhalt damit verdient, reichen Damen seine Sexdienste anzubieten. Tone liebt Lala. Doch Tone ist Adan verpflichtet. Von Wilma kann Lala keine Hilfe erwarten, denn die hat sie abgeschrieben, seit Lala bei Adan einzog. Die Polizei sucht nach ihrem Mann wegen Mordes und die Sache mit dem toten Baby, das vorher angeblich entführt wurde, erscheint den Polizisten unglaubwürdig. Die Sache spitzt sich zu. Und vergessen wir nicht die Perspektive der zweiten Mrs. Whalen, Ehefrau des von Adan ermordeten Peter Whalens, die es als hübsche junge Frau zur Gattin eines wohlbetuchten Langzeittouristen gebracht hat. Davon, dass sie ihn als Prostituierte kennenlernte, mag sie nichts mehr hören, denn sie ist nun eine betuchte Britin. Diese Perspektive war mir zu blass, um überhaupt Raum zu erhalten – den sie nämlich nicht ausfüllt, was sie zu einer abgeschnittene Randfigur macht. Stimmungsvoll und empathisch beschreibt Cherie Jones in diesem Gesellschaftsroman die beiden Seiten des Karibiktraums der Weißen. Der Kolonialismus ist hier nie geendet – mit dem Unterschied: die Sklaven gehören niemandem mehr. Mehrperspektiv, beleuchtet die Autorin die Szene, bezieht Rückblicke ein, um die Figuren auszuleuchten, und wenige historische Hintergründe runden die Story ab. Neben der Armut und Aussichtslosigkeit der Bevölkerung wird ein System von prügelnden Ehemännern, vergewaltigenden Vätern offengelegt. Toxische Männlichkeit, Machismo pur in der übelsten Art – so wie ziemlich überall in Mittel- und Südamerika. Cherie Jones hat eine eigene Handschrift, einen eigenwilligen Stil, nüchtern und schonungslos – und der ist gut. Gleichzeitig blickt sie empathisch auf ihre Protagonist:innen, webt poetisch stimmungsvoll den Zauber der Karibik mit ein. Dann wechselt sie über zu dreckigen Stränden und dreckigen Geschäften. Atmosphärisch entblättert sich eine verdichtete Geschichte, bei der es nicht um die Aufklärung von Verbrechen geht – denn Tat und Täter liegen gleich am Anfang fest. Hier geht es um menschliche Schicksale und um das, was das Verbrechen aus ihnen macht. Noir-Literatur der Extraklasse – Empfehlung! Cherie Jones ist Autorin und Anwältin und lebt in Barbados. 1999 gewann sie den Commonwealth Short Story Prize, anschließend studierte sie Kreatives Schreiben in Sheffield Hallam, wo ihr sowohl der Archie Markham Award als auch der A.M. Heath Prize verliehen wurde. »Wie die einarmige Schwester das Haus fegt« ist ihr Romandebüt. «How The One-Armed Sister Sweeps Her House» stand direkt auf der Shortlist des «Woman’s Prize for Fiction» und erhielt den 3. Platz für den Deutschen Krimipreis, Kategorie International.

zurück nach oben