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anne_hahn

Posted on 2.6.2023

"Wenn wir sie auf der Straße sehen, tun wir so, als wären sie nicht da, und sie blicken uns an und sagen nichts, wie die Aasgeier." 219 Seiten umfasst der Roman des gebürtigen Spaniers Andrés Barba, der um den Unfalltod von 32 Kindern kreist, die vor zwanzig Jahren in einer kleinen Stadt am argentinischen Urwald für Verstörung sorgten. Der Ich-Erzähler reflektiert seine eigene Rolle in diesem Drama, das sich langsam vor uns ausbreitet. In Rückblenden wird der Sommer der streuenden Kinder erzählt. Es sind Erinnerungen aus erwachsener Sicht, die ergänzt werden durch die Wahrnehmung einer jungen Frau. Teresa Otaño, ein damals vierzehnjähriges Mädchen, veröffentlichte ihr Kindertagebuch mit fünfundzwanzig, elf Jahre nach dem Unglück, das dem Leben der 32 ein Ende gesetzt hatte. Das Tagebuch wurde sofort ein lokaler Bestseller, die Vorfälle waren noch präsent im kollektiven Bewusstsein. "Das Tagebuch brachte zudem eine neue Perspektive ins Spiel: die eines kleinen Mädchens. Eines Mädchens, das einen Blick auf die Kinder warf, die uns so sehr verstört hatten." Und hier beginnt die Erwachsenenperspektive aufzuweichen. Der Autor führt uns ein in die Mythen der Indigenen, spielt mit regionalen Legenden und Erzählungen, führt uns vor Augen, wie fremd uns selbst die eigenen Kinder und ihre Wahrnehmung sein können. Denn die wilden Kinder, die sich in einer eigenen Geheimsprache unterhalten, von Mundraub und Diebstählen leben und immer wieder auf geheimnisvolle Weise verschwinden, bringen die ganze Kleinstadt durcheinander. "Heute sind sie an uns vorbeigelaufen, und eines der Mädchen hat meinen Arm gestreift, mit ihrem Haar, wie ein Kitzeln." Schreibt das Mädchen in ihrem später veröffentlichten Tagebuch - die Faszination des Anderen, der frei in ihrer leuchtenden Republik lebenden Kinder berührt. Ein Buch über Verlust, Ängste und schlummernde Mythen - ein zeitloses, sprachlich prachtvolles Feuerwerk südamerikanischer Magie!

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