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Vom digitalen Kannibalismus In „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban lesen wir einen digitalen Briefwechsel zwischen dem systemkonformen, mainstream-gerichteten Pseudo-Journalisten Stefan und der stetig auf Krawall gebürsteten Bäuerin Theresa. Deren Positionen könnten unterschiedlicher nicht sein und dennoch reicht die alte Freundschaft aus Studentenzeiten fast über 444 Seiten. Bis Theresa die Nase endgültig voll hat und nicht mehr antwortet. Ich habe – sage und schreibe – 17 Klebchen (Page-Marker) im Buch verteilt, weil ich die Zitate so spannend fand oder auch etwas nicht wusste, was es nachzuschlagen galt. Dieser Briefroman liest sich sehr flüssig, was angesichts seiner Form schon erstaunlich ist. Wenn auch die zahlreichen Gendersternchen von Stefan genauso zermürbend sind, wie seine Weltanschauung, obwohl er doch gerade als Journalist alle Seiten im Blickfeld haben sollte. Hat er aber nicht. Theresas Seite ist aus meiner Sicht nachvollziehbar, auch ihre ungeheure Wut auf die deutsche Bürokratie, die offensichtlich die Bauern besonders hart trifft. (Ich gehe davon aus, dass punktgenau recherchiert ist.) Einzig ihren Hang zur E-Mobilität begreife ich nicht, es wird öfters erwähnt, dass Basti, Theresas Ehemann, von einer E-Auto-Werkstatt träumt. Theresa, die Vollblutbäuerin, liebt ihre Kühe, obwohl der Hof unrentabel ist. „Bei einer Auflösung des Hofs hätte man sie (die Kühe) alle geschlachtet. Man hätte ihre Masse, ihre Wärme und ihre Freundlichkeit restlos ausgelöscht.“ (S. 32) Manchmal hat sogar Stefan kleine Erleuchtungen: „Wie sehr die politischen Bedingungen eure Familiengeschichte mitbestimmt haben, das finde ich tragisch.“ (S. 41) Oder hier: „Ich saß in Rosi’s Bar und schaute mir an, wie alle permanent mit ihren Smartphones zugange waren. Überall strahlende Devices in der Nacht. Darüber die bleichen Geistergesichter im Displaylicht, erstarrt in Ehrfurcht vor der unendlichen Verfügbarkeit von allem und jedem.“ (S. 68) Theresa lernt eine junge Frau kennen, Eva, die Tochter des Nachbarn und Bauern Lars. Eva: „Der Staat macht uns systematisch kaputt.“ (S. 110) Oder später sagt Eva: „Dass Politik heutzutage nur noch Verarsche sei und dass ich (gemeint ist hier Theresa) endlich rauskommen müsse aus meiner Komfortzone.“ (S. 205) Theresas Vater zerbrach „an der grinsenden Heuchelei der BRD.“ (S. 226) Und dann wieder Eva: „Das Volk will nicht gendern, es will keine Cancel Culture, keine Lastenfahrräder und keine Pseudoskandale um kulturelle Aneignung …“ (S. 268) Theresa erwähnt auf Seite 303 den Paragraphen 314 des Strafgesetzbuchs: „Wer Gegenstände, die zum öffentlichen Verkauf oder Verbrauch bestimmt sind, vergiftet oder ihnen gesundheitsschädliche Stoffe beimischt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.“ Darauf möge sich nun ein Jeder seinen eigenen Reim machen. Und auf Seite 325 schreibt sie an Stefan: „Das System ist ein Witz, über den niemand mehr lacht. Es ist höchste Zeit, aus der Reihe zu tanzen. Kein Schaf in der Herde mehr zu sein. Erstaunliche Erkenntnis: Die Angst verschwindet, sobald man das Heer der Konformisten verlässt. Kaum streift man das Kostüm des Untertanen ab, kehrt Seelenfrieden ein.“ Später, auf Seite 346 schreibt sie: „Kein Vorgang in Deutschland ohne ein Maximum an Papierkram. Geboren werden, sterben oder abbrennen – Hauptsache, ein paar neue Aktenordner werden voll.“ Auf Seite 359 schreibt Theresa: „Während ich hier sitze und meine Kühe betrachte, die so friedlich zurückschauen, so vertrauensvoll, so tapfer, so unglaublich bereit, mir (und überhaupt allen Menschen) zu dienen, und die deshalb Anspruch darauf haben, respektvoll und gut behandelt, ja: geliebt zu werden – dann spüre ich mehr denn je, was meine Aufgabe ist.“ Ich glaube, ich habe noch nie bei einer Rezension so viele Zitate erwähnt, aber hier war es einfach nötig. Fazit: Ich mochte das Buch sehr und es war wirklich flüssig zu lesen und das trotz des Briefwechsels. Es wurde sehr kontrovers diskutiert, bzw. geschrieben und gerade das vermisse ich in der heutigen Zeit der Meinungsunfreiheit. ****