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In der deutschen Bucht sucht das niederländische Bergungsschiff Freyja nach einem Container. Dabei stoßen die Männer vor Amrum auf ein seit 1950 verschollenes Wrack, das Kupfer im Wert von circa einer Million Euro an Bord haben soll. Niemand weiß davon, man könnte die Ladung heimlich bergen und verkaufen. So leuchtet die Besatzung zunächst das Wrack mit einer Unterwasserkamera aus. Dabei machen sie eine erschreckende Entdeckung: Ein Taucher ist mit Handschellen an das Wrack gekettet – mit Sicherheit tot. Kommissar Liewe Cupido von der Bundespolizei See aus Cuxhaven übernimmt und taucht hinunter. Makaber: Der Schlüssel der Handfesseln hängt in Sichtweite des Tauchers. Hier hat jemand aus Rache getötet! «‹Wenn Ihr Sohn Ihnen nichts sagt, hat er vielleicht etwas getan. Wovon er weiß, dass Sie es missbilligen. Ein Sohn will, dass sein Vater stolz auf ihn ist.› ‹Ich höre schon, Sie haben keinen Sohn, Sie sind nie Vater gewesen.› ‹Das stimmt. Aber ich war ein Sohn.›» Liewe Cupido in seinem zweiten Fall. Der gebürtige Deutsche ist bei seiner Mutter auf Texel aufgewachsen, sein Vater ist verstorben. Weil er muttersprachlich Niederländisch spricht, nennen die Kollegen ihn den Holländer. In Kooperation mit der deutschen Polizei, den Niederländern und den Dänen hat Cupido ein weites Feld abzustecken. Schnell gibt es Verdachtsmomente. Der Tote, Jan Matz, hatte seinem Sohn Johnny ein falsches Alibi gegeben. Denn der hatte einen anderen Jungen, Hauke Mauer, grundlos krankenhausreif geschlagen, der vielleicht sein Leben lang behindert bleiben wird. Zudem wurde unter das Auto der Mauers ein Molotowcocktail geschmissen. Auch hier behauptet der vermeintliche Täter Johnny, bei seinem Vater auf Föhr gewesen zu sein. Grinsend entgegnet er der Polizei: «No face, no case». Genug Grund, für die Mauers, ihn und seinen Vater zu hassen. Zwei Väter und ihre Söhne. Zwei Väter, die ihre Söhne schützen wollen. Zwei Familien, die zerbrochen sind – die eine durch Trennung, die andere durch sozialen Abstieg. Liewe Cupido und sein Vater – die Freyja war das Schiff seines Vaters und Liewe war dabei, als er von Bord fiel und ertrank. Cupido ist ein verlorener Sohn, ein Einzelgänger, dem Teamarbeit nicht schmeckt, Sohn eines niederländischen Fischers und einer deutschen Meeresbiologin. Immer unterwegs und immer auf Abstand zu anderen, stets wortkarg. An seiner Seite stets Vos (niederländisch Fuchs), sein Hund. Fast immer; sie war ihm im ersten Band in das Auto gesprungen und weigerte sich zu gehen. Mathijs Deen hat hier eine interessante Figur erschaffen. Mit dem Lesen taucht man ein in die Nordsee. Im ersten Band «Der Holländer» ging es ums Wattenmeer, das Extremwandern im Watt – das Inselerwandern – und nun begeben wir uns auf Schatzsuche. Atmosphärisch dicht, auch mit maritimen Fachbegriffen bestückt, fegt einem beim Lesen der Wind um die Nase, die Gischt ins Gesicht, wuchtige Wellen klingen in den Ohren. Das Setting ist echt (nicht touristisch), die Charaktere und ihre Probleme sind lebensnah beschrieben. Der Tote, ein Hobbytaucher, war ein besessener Sammler. Sein Haus und die Garage sind vollgestellt mit uralten Kompassen, Lampen und alles, was man an Wracks abmontieren kann. Vielleicht hatte Matts etwas entdeckt, was er nicht sehen durfte ... Cupido ermittelt nach allen Seiten. Dabei kommt er viel herum. Im letzten Band war die niederländische Polizei involviert, diesmal ermitteln neben der Bundespolizei die Kripo in Wilhelmshaven und die Inselpolizei auf Föhr. Sehr fein aufbereitet: Klappt man den Buchumschlag ab, findet man auf der Innenseite eine Landkarte, kann mit Cupido die Reise geografisch verfolgen. Man fragt sich, wie viele Schiffwracks in der Nordsee vor den Küsten liegen, von den Wickern bis heute. Kriegsschiffe, Handelsschiffe, Fischerboote, Jachten, Fracht ... Mathijs Deen gibt einen interessanten Eindruck über den Friedhof sich dort unten befindet. Schatzsucher sind unterwegs. Ob nun aus Habgier oder Sammellust an maritimen Skurrilitäten – ungefährlich ist dieser Sport auf keinen Fall – schnell kann man selbst zum Sammlerobjekt werden. Den zweiten Fall empfinde ich als noch spannender als den ersten. Die Cupido-Reihe ist ein Leckerbissen unter den Krimis, denn es ist jeweils ein interessantes Thema, eine andere Region in der Nordsee, das alles in einem spannenden, glaubwürdigen Plot verwoben, skurrile Charaktere, Humor, Maritimes, atmosphärisch, mit einer guten Prise Sturm und Salz. Empfehlung! Mathijs Deen, geboren 1962, ist Schriftsteller und Hörfunkautor. Er veröffentlichte Romane, Kolumnen und einen Band mit Kurzgeschichten, der für den renommierten AKO-Literaturpreis nominiert war. 2018 wurde ihm für die literarische Qualität seines Werks der Halewijnpreis verliehen. Bei mare erschien von ihm Der Schiffskoch und Der Holländer, der erste Fall für Liewe Cupido, der von Publikum und Presse begeistert aufgenommen wurde.