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gwyn

Posted on 30.5.2023

«Die Verrenkungen des Geldes faszinierten ihn immer mehr – es ließ sich so im Kreis biegen, dass man es mit seinem eigenen Körper mästen konnte. Die isolierte, selbstgenügsame Natur der Spekulation entsprach Benjamins Charakter, war für ihn Quell des Staunens und allein Zweck genug, ungeachtet all dessen, was seine Einkünfte bedeuteten oder ihm ermöglichten. Jeglicher Luxus war eine vulgäre Bürde.» Hernan Diaz beschreibt das Finanzkapital, die Börsen, die Vermehrung von Geld, eingebettet in eine Familiengeschichte, bei der es wiederum um die Wahrheit geht. Benjamin Rust erbt Tabakplantagen in Kuba, mit denen seine Vorfahren stattliche Gewinne gemacht hatten. Ihn aber fasziniert die Börse, und er beobachtet interessiert das Auf und Ab. Hier will er mitspielen! So verkauft er seine Ländereien – genau noch passend, bevor die Tabakpreise fallen. Weil er ein guter Beobachter ist, wettet er in der Krisenstimmung auf den Niedergang der Aktien und ist einer der wenigen Gewinner beim Börsencrash von 1929 - ist damit unermesslich reich geworden. Er hatte seine Aktienanteile abverkauft, in Gold investiert und er hatte Leerverkäufe in Mengen getätigt. Nach dem Crash kauft er sich zu Ramschpreisen wieder in Firmen ein, vermehrt weiter sein Kapital. Man munkelt, er selbst hätte den Crash verursacht – die Leute hassen ihn. Es folgt die Geschichte von Helen, die später Benjamin heiraten wird und sein Geld mit vollen Händen ausgibt: Als Mäzenatin setzte sich für die Kunst ein, baute im gesamten Land Häuser für Obdachlose, die sie den Familien überschreibt, vergibt zinslose Kredite an Arme, lässt bankrotte Manufakturen wieder eröffnen, um Arbeitsplätze zu schaffen; und viele Produktionen daraus werden verschenkt – nach dem Motto: Was der Herr dir gegeben, musst du weitergeben. «Geld ist eine Fiktion; Waren in rein phantastischer Form, ja? … Aktien, Anteile und all der andere Schrott sind nur Ansprüche auf zukünftigen Wert. Wenn also Geld eine Fiktion ist, dann ist Finanzkapital die Fiktion einer Fiktion. Damit handeln die ganzen Verbrecher: mit Fiktionen.» Wir erkennen bald, dass dieser erste Teil ein fiktiver Roman in diesem Schelmenroman ist, jemand sich im folgenden Kapitel dort wiedererkennt und mit der Darstellung nicht einverstanden ist. Die Person kauft sämtliche Exemplare des Bestsellers auf … beginnt selbst zu schreiben. Ghostwriterin Ida Partenza, Tochter eines aus Italien geflohenen Kommunisten, die dem Manuskript zur Seite steht, gibt dann auch ihren Senf dazu und ein altes Tagebuch zeigt eine weitere Perspektive – mehr verrate ich nicht. In vier Geschichten wird aus verschiedenen Anschauungen auf Finanzströme geblickt und genau das ergibt am Ende ein Ganzes. Der Roman ist durch seine ungewöhnliche Struktur an manchen Stellen eine kantige Lektüre, durch die man sich durchbeißen muss. Aber es lohnt sich! Vier Personen, vier Geschichten um diese eine Geschichte, die sich in Sprache und Stil völlig von den anderen unterscheiden. Unzuverlässige Erzähler … Das nenne ich hohe Literatur! (Die Männer) «… glaubten alle, ohne jeden Zweifel, dass sie es verdienten, gehört zu werden, dass ihre Worte gehört werden müssten, dass die Erzählungen ihres makellosen Lebens gehört werden müssten.» Denn Frauen haben zu dieser Zeit nichts zu sagen. Entweder sind sie ein hübsches Beiwerk zum erfolgreichen Mann oder sie schuften in Fabriken für Hungerlöhne, um die Männer noch reicher zu machen. Frauenfeindlichkeit – ein weiteres Thema in diesem Roman. Was ist hier die Wahrheit? Die Wahrheit ist zumindest, dass dieser Roman ein literarisches Meisterwerk ist. Wortgewaltig und stilistisch grandios ist dieser Gesellschaftsroman eine Empfehlung! Im Mai 2023 erhielt «Trust» gemeinsam mit «Demon Copperhead» von Barbara Kingsolver den Pulitzer-Preis in der Kategorie «Fiction». In dieser Kategorie werden belletristische Werke ausgezeichnet, die sich mit der amerikanischen Lebenswirklichkeit beschäftigen. Begründung der Jury: «Sowohl fesselnde Geschichte als auch brillantes literarisches Rätsel: Trust lässt den Leser auf die Suche nach der Wahrheit gehen, während er oder sie sich den Täuschungen stellt, die im Zentrum persönlicher Beziehungen existieren, der realitätsverzerrenden Kraft des Kapitals und der Leichtigkeit, mit der Macht die Fakten manipulieren kann.» Hernan Diaz wurde 1973 in Argentinien geboren, wuchs in Schweden auf, studierte in Buenos Aires und London und lebt heute in New York. Sein Debütroman In der Ferne war 2018 für den Pulitzer-Preis und den PEN/Faulkner Award nominiert. Für Treue, seinen zweiten Roman, erhielt Hernan Diaz 2023 den Pulitzer-Preis. Seine Romane wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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