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gwyn

Posted on 29.5.2023

«Mir ist schon wieder dasselbe passiert. Ich bin gerade zitternd aufgewacht, das Herz hämmert mir an die Rippen, als wollte es rausspringen, und mit dem Gefühl, dass auf meiner Brust ein Elefant sitzt. Teilweise fällt mir das Atmen so schwer, dass ich denke: Wenn ich den Mund nicht ganz weit aufmache, kriege ich keine Luft mehr.» In Spanien ist Eloy Moreno bereits ein Bestsellerautor. Unaufgeregt erzählt er die Leidensgeschichte eines namenlosen Jungen, der in der Schule gemobbt wird. Wie alles anfing? Er ist gut in der Schule – einfach so, alles fällt ihm zu. Er ist bescheiden, protzt nicht damit herum, und er hat ein Ziel, er will beruflich etwas aus sich machen. Eines Tages, mitten in einer Klassenarbeit, pickst ihn der Hintermann, ein fauler Schüler, der Klassenprotz. Er will die Arbeit von dem Vordermann haben, er soll sich gefälligst eine neue Arbeit schreiben. Doch der sagt nein. Genau das ist der Beginn eines Leidenswegs. Der Roman beginnt mit dem Krankenzimmer, mit den Auswirkungen, mit dem Ende. Alles wird wage gehalten, Andeutungen, ein Unfall ist geschehen, Besucher halten die Hand, alles ist unfassbar. Und dann geht es an den Anfang zurück, den Beginn dieser Mobbingtour. Hautnah erleben wir die Angst, die Demütigungen und alle Phasen der Verzweiflung des Opfers, das keinen anderen Ausweg weiß, als sich in die Welt der Phantasie zu flüchten. Aber auch der Mobber und die, die wegsehen, kommen zu Wort. «Denn in diesem Raum befindet sich nicht nur ein Junge, der irgendwann plötzlich unsichtbar geworden ist. Da ist auch eine Mutter, die sich seit dem Unfall pausenlos fragt, seit wann sie ihren eigenen Sohn nicht mehr sieht.» Der wütende Junge nimmt dem Namenlosen sein Pausenbrot weg, quetscht ihm angegangenes Obst in die Schultasche zwischen die Bücher, piesackt den Jungen, der vor ihm sitzt von hinten. Und er und sein ebenso hohlköpfiger Freund gewinnen immer mehr Spaß an der Sache ihn zu quälen, sie schlagen ihn, bespucken ihn, prügeln ihn. Der Mobber ist der Größte in der Klasse, der Älteste, mehrfach sitzen geblieben. Aber die Mädchen stehen auf ihn. Wenn er die Klasse wieder nicht schafft – und darin tendieren seine Leistungen – muss er ohne Abschluss die Schule verlassen. Was ihm dann von seinem Vater droht, mag er sich nicht ausmalen. Die Übergriffe steigern sich in Brutalität und Gemeinheit. Sich zu wehren hat keinen Zweck, und so «hofft, [er] dass ihn niemand gesehen hat, denn die Scham schmerzt mehr als die Schläge.». Denn der Mobber «braucht die Schwäche eines anderen, um seine eigene Stärke zu beweisen.» Er hat ja sonst nichts vorzuweisen. Die Klassengemeinschaft lacht, mischt sich nicht ein, sieht geflissentlich weg – feuert sogar an. Kiri und Zaro geht das zu Herzen, auch sie greifen nicht ein, aus Angst, selbst die Wut des Mobbers auf sich zu ziehen. Aber da ist eine, die beobachtet, nicht alles sieht, doch das was sie sieht, lässt den alten Drachen in ihr aufsteigen: die Lehrerin. Sie selbst war in ihrer Schulzeit ein Mobbingopfer. «Zuerst hat die Wirkung nur kurz angehalten. Ein paar Minuten lang bin ich plötzlich verschwunden, wurde unsichtbar. Aber mit der Zeit habe ich es geschafft, dass es länger anhielt, am einen Tag eine halbe Stunde, am nächsten vierzig Minuten, eine Stunde… Manchmal habe ich es hingekriegt, dass mich stundenlang Kasimiraniemand gesehen hat!» Die Sache steigert sich. Auf der einen Seite ziehen die einen Lust aus ihrer Macht, überlegen sich neue Gemeinheiten, Brutalitäten, testen aus, was sie sich noch alles erlauben können. Auf der anderen Seite fällt der gemobbte Junge immer mehr in sich zusammen, versucht, sich unsichtbar zu machen, taucht ab in seine Fantasiewelt. Die Lehrerin, die einschreiten möchte, stößt an ihre Grenzen bei der Direktorin. Denn solche Dinge kann (darf) es an ihrer Schule nicht geben. Man hat einen Ruf zu verlieren. Dazu sei gesagt, dass in Spanien mehr als 50% der Schulen privat geführt werden. Der Jugendroman ist mehrperspektiv gestaltet, wir erhalten die Sicht aus verschiednen Seiten. Die Lehrerin weiß, dass Mobber meist selbst Opfer sind und sie versucht, nicht so einzugreifen, dass sie ihn an den Pranger stellt. Saft versucht sie Einfluss auf die Klasse zu nehmen. Sie erzählt ihren ihren Schülern ein Märchen, ein Gleichnis, um sie mit dem Mobbing zu konfrontieren. Ein Jugendroman, der mitten ins Herz trifft. Ohnmächtig, einzuschreiten, liest man mit Schnappatmung, was diesem namenlosen Jungen angetan wird. Gut geeignet als Schullektüre! Denn was hier passiert – das passiert an jedem Tag irgendeinem namenlosen Kind! Der Sauerländer Verlag gibt ein Empfohlenes Lesealter ab 14 Jahren. Das passt für mich. Empfehlung! Eloy Moreno, geboren 1976, arbeitete zunächst als Informatiker. Seine große Leidenschaft für Literatur veranlasste ihn, sich auf das Abenteuer Schreiben einzulassen. Seinen ersten Roman veröffentlichte er zunächst im Selbstverlag, ehe ein Verlag auf ihn aufmerksam wurde. Bisher hat er fünf Romane veröffentlicht, die allesamt zu Bestsellern wurden, mit renommierten Preisen ausgezeichnet und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. »Unsichtbar« ist das erste Buch des Autors, das auf Deutsch erscheint.

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