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Buchdoktor

Posted on 29.5.2023

John Chamberlain hatte 1978 seine Frau Julia überredet, gemeinsam mit ihren Kindern nach Neuseeland zu gehen. Nach diesem kurzen Schritt auf der Karriereleiter hätte er bessere Aussichten nach New York oder Paris versetzt zu werden. Bevor Vater Chamberlain seine Stelle antritt, wollen sie ohne exakte Pläne das Land erkunden und werden daher von niemandem erwartet. Als im strömenden Regen ihr PKW von der Fahrbahn abkommt und in einen Fluss stürzt, überleben die Eltern und das Baby nicht, die älteren Kinder zwischen 7 und 14 Jahren können sich schwer verletzt ans Ufer retten. Die Reifenspur von der Fahrbahn in dichtes Gestrüpp wird vom Regen fortgespült. Nach drei Tagen ohne Nahrung und dem vergeblichen Versuch der 12-jährigen Katherine, einen Zugang zur Straße zu finden, taucht ein hippiehafter Mann am Fluss auf, der die Kinder mitnimmt, nachdem er sorgfältig jede Spur verwischt hat, dass am Flussufer jemand campiert haben könnte. 30 Jahre später erhält in London Julias Schwester Suzanne einen Anruf aus Neuseeland, dass ein Knochenfund auf ihren vermissten Neffen Maurice hinweisen könnte, der Geld, eine teure Uhr und ein verwittertes Stück Holz bei sich hatte. Erst Suzannes erwachsener Sohn erkennt, dass es sich bei dem Holz um eine Hälfte eines Kerbholzes handelt, das man früher benutzte, um Gläubigern und Schuldnern eine Schuld zu dokumentieren. Zwischen dem Unfall in dünn besiedelter Gegend, dem Aufwachsen der Geschwister bei Martha und Peters in der Wildnis und Suzannes jahrelanger Suche nach Julia und ihrer Familie entwickelt Carl Nixon – zeitlich versetzt – das Schicksal der Kinder. Als Leser ahnt man bald, dass es mit dem von einer Kopfverletzung schwer geschädigten Tommy kein gutes Ende nehmen kann. Katherine wird von Martha zu allen Arbeiten in Haus und Garten herangezogen und in Marthas Heilkünste eingeweiht. Die 12-Jährige verarztet gewissenhaft Maurices Beinverletzung und lernt von Martha, was von Frauen mit ihrer Gabe nur direkt an eine andere Frau weitergegeben wird. Für Martha könnte Katherine eine lang ersehnte Nachfolgerin sein und Katherine genießt Marthas Anerkennung. Maurice hat es mit Peters erheblich schwerer, weil er, noch verletzt, nicht wie ein Mann arbeiten kann, deshalb ständig verhöhnt wird und dennoch beharrt, es müsse eine Straße, einen Ort und ein Krankenhaus geben. Katherine ergibt sich in ihr Schicksal; Maurice, der immer noch an einer Krücke humpelt, ruht jedoch nicht, ein Schlupfloch aus Peters Arbeitslager zu finden – und die unkartierte Wildnis zu bewältigen. Der Knoten des tragischen Abenteuers platzte für mich erst in dem Moment, als mir deutlich wurde, was Suzanne bereits auf sich genommen hatte, um ihre Familie in Neuseeland zu finden. Mit der stimmungsvollen Schilderung der nahezu autarken Lebensweise in einer dünn besiedelten Gegend, Peters Motiv für sein Handeln und dem Machtkampf zwischen Peters und dem Großstadtkind Maurice hatte mich Carl Nixon bereits am Haken. Durch die zeitlich versetzte Erzählweise bietet sich zusätzlich die faszinierende Möglichkeit, über die Konfrontation von Städtern und einheimischen Exzentrikern zu grübeln, und zwischen Kolonie und Mutterland. Was für ein Roman!

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