Buchdoktor
Mit Mitte 30 ist Lou noch immer nicht sesshaft, kein Wunder wenn die Eltern aus beruflichen Gründen durch die Welt nomadisieren. Als Lou wirklich nicht mehr bei Freundin Mel und deren Kindern unterschlüpfen kann, trifft sie auf der Suche nach einem WG-Zimmer Gloria Sabrowski. Die ältere Frau bewohnt mit ihrem Mann und mit derzeit drei Untermietern die Villa ihrer Großeltern aus dem 19. Jahrhundert. Herbert ist bereits Rentner und betreibt in der Villa ein Antiquariat. Das vierte und letzte Zimmer liegt nach Norden und hat undichte Fenster, stellt Alissa noch vor der Besichtigung klar; die Schülerin lebt nach der Trennung ihrer Eltern hier mit ihrem Vater. Der fünfte Bewohner, Jay, hat kurz vor dem Examen gerade noch die Kurve gekriegt und sein Studienfach schätzen gelernt. Lou unterschreibt, kauft bei Herbert ein Buch und zieht sofort ein. Auf den zweiten Blick leben die Sabrowskis nach dem Auszug ihrer erwachsenen Kinder in einer Art Patchworkfamilie; ein Paar, ein Vater-Tochter-Team und Jay als Wahlsohn. In der Villa gibt es weder eine Aufgabenverteilung noch Diskussionen über den ökologischen Fußabdruck oder ob weiße und bunte Wäsche gemeinsam gewaschen werden darf. Die berufstätige Gloria lebt weiter wie bisher, putzt und kocht für 6 Personen. Lou spürt, dass in diesem Haushalt einige Fragen auf Antworten harren, doch sie als Neuling wagt nicht zu fragen. Der Versuch, Gloria vom Kochen zu entlasten, scheitert. Auch Jays Entdeckung, dass das Antiquariat dringend über einen Online-Shop erreichbar sein sollte, finde wenig Gegenliebe. Gloria scheint zunächst die Hauptfigur zu sein, doch auch ihre Mitbewohner samt ihrer aktuellen Lebenssituation treten nacheinander ins Rampenlicht. So entsteht das Bild von Menschen aus drei Generationen, die jeder in einem unfertig wirkenden Leben einen Gesprächspartner suchen, aber keinen Ratgeber. Verbindendes Element zwischen den Bewohnern der Villa sind verdrängte, erzwungene oder ungelebte künstlerische Talente. Gloria und Lou, Jay und Alissa, Jay und Herbert, in jeder Ecke schien ein Ziel oder eine Existenzgründungsidee auf sie zu warten. Dass die Gemeinschaft im reparaturbedürftigen Anwesen nicht mehr länger zu finanzieren ist, bleibt unausgesprochen und nur Franziska Fischers Leser:innen warten auf den großen Knall. Die Patchwork-Situation im Haus Sabrowski bietet durch die Vielfalt der Figuren im Vergleich zu einer WG Gleichaltriger verblüffend großes Potential. Auf Lous Einfluss hatte ich große Hoffnungen gesetzt, weil sie weder zur Eltern- noch zur Kindergeneration gehört – und ihre Rolle konnte mich am Ende am stärksten verblüffen. Mein Lieblingssatz: „Ohne mich kommt ihr doch gar nicht zurecht.“ (Jay) Wer wen ins Vertrauen zieht und welche Ideen sich schließlich umsetzen lassen, das wirkt klug geplottet. Weniger überzeugt hat mich der Roman sprachlich. Ein für die alltäglichen Ereignisse zu bildungsbürgerlicher Ton bricht sich an dazu unpassenden Stilsünden.