Yvonne Franke
Als ich vor ein paar Wochen erfuhr, dass im Kanon Verlag bisher unveröffentlichte Tagebücher von Manfred Krug erscheinen, war ich ein wenig aufgeregt. Und überrascht von mir selbst. Ich hatte es nicht so richtig gemerkt, aber er hatte mir gefehlt. Seine tiefkluge Stimme, wohlwollend ironisch – der hilfsbereite Klugscheißer – hatte sich wohl in einer urvertrauenswilligen Phase fest in meinem Kinderherz verankert. Zwar bin ich in Westdeutschland geboren, aber eben 1980, also gerade rechtzeitig, um ein paar Jahre mit dem Sesamstraßen-Manfred zu verbringen. Erst sehr viel später, als mein Cousin, eine Art früher Hipster-DJ, seine Lieder (z.B. dieses, mein liebstes) auf größeren Tanzveranstaltungen auflegte, erfuhr ich, dass Krug in der DDR ein Gesangsstar gewesen war und auch der beliebteste Schauspieler der Republik. Dass er Ruhm und Reichtum aufgegeben hatte für eine ungewisse Zukunft im Westen und dann aber schnell auch dort geliebt wurde. Auch wenn das Leben im Westen künstlerisch, absurderweise, einige Kompromisse von ihm forderte. Über die Zeit seiner "Ausreise" aus der DDR in den Westen gibt es bereits ein 1996 von ihm selbst veröffentlichtes Tagebuch mit dem Titel "Abgehauen", das allerdings zu großen Teilen aus der Transkription eines Tonbandmittschnitts besteht, den Krug heimlich (und mutig) aufgenommen hatte, als zwanzig Jahre zuvor die oberste Riege der Kulturschaffenden und -beaufsichtigenden des Landes in seinem Haus zusammenkam, um über die Ausbürgerung Wolf Biermanns und deren Folgen zu diskutieren. Zumindest in diesem Teil von "Abgehauen" handelt es sich also um ein objektives Zeitdokument. Anders ist es bei den nun posthum von seinen drei Kindern veröffentlichten Tagebüchern "Ich sammle mein Leben zusammen". In den Jahren 1996 und 97, die sich hier auffächern, findet für Krug das ganze pralle und sehr private Leben in all seinen unmöglichen Stürmen und Ausbuchtungen statt. Eine Liebesbeziehung außerhalb der Jahrzehnte alten Ehe, ein sehr spätes heimliches Kind, ein Schlaganfall und plötzlich keinen Bock mehr auf die immer geliebten Künste. Das alles müsste man sich in dieser Ballung in einem Roman erstmal trauen. Und immer wieder gibt Krug selbst den Leser*innen die Legitimation, an all dem teilzuhaben. Er ist einer, der selbst in der Heimlichkeit ein Publikum mitdenkt. Das Tagebuch als Unterhaltungskunst. Tusch und Chapeau.