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mabuerele

Posted on 9.4.2023

„...Kurz bevor wir die Türen erreicht haben, hören wir ein lautes Knacken, dann ein klagendes Stöhnen und dann plötzlich das Dröhnen Tausender Kilo Zement, Ziegelsteine, Betonstahl und Trockenwände, die zusammenbrechen...“ Die Eröffnung des Royal Jewel Cinema sollte für Ravi Singh eine großer Moment werden. Doch er endet in einer Katastrophe. Nach dem Prolog geht die Handlung zwei Monate in die Vergangenheit. Die Autorin hat eine spannende und berührende Geschichte geschrieben, die in Indien des Jahres 1969 spielt. Obwohl ich den Vorgängerband nicht kenne, hatte ich kein Problem, der Handlung zu folgen. Alles Wichtige wird im Laufe des Geschehens wie nebenbei erwähnt. Der Schriftstil ist sehr poetisch und fein ausgearbeitet. Er spiegelt das Leben der verschiedenen Schichten Indiens und ihre Träume und Wünsche wider. Die Geschichte wird im Wechsel aus unterschiedlicher Perspektive erzählt. Diese drei Personen sind Nimmi, Lakshmi und Malik. Nimmi, eine junge Witwe mit zwei kleinen Kindern, stammt aus einem Bergvolk. Sie will sich in Shimla eine neues Leben aufbauen. Malik mag die junge Frau. Lakshmi, einst Hennazeichnerin und nun Frau und Gehilfin eines Arztes in Shimla, hat gern die Kontrolle über das Leben der ihr Anvertrauten. Sie schickt Malik nach Jaipur, um bei Onkel Manu das Bauhandwerk und die Bürotätigkeit kennenzulernen. Besonders gut gefällt mir, dass bei den drei Hauptprotagonisten eine positive Entwicklung verfolgbar ist. In den begüterten Häusern in Jaipur sieht das eher nicht so aus. Deutlich wird, dass die Frauen ein hartes Los haben. Was nützt ihnen Reichtum und Ansehen, wenn der Mann permanent fremdgeht? Ravi ist ein besonders krasses Beispiel dafür. Er folgt dabei seinem Vater auf den Fuß. „...Ich sehe mich am Tisch um und überlege, was ich über die Singhs weiß. Ich weiß, dass Lakshmi dafür gesorgt hat, dass in den zehn Jahren, die sie in Jaipur verbracht hat, viele von Samirs Geliebten kinderlos geblieben sind...“ Die Worte stammen von Malik, der bei den Singhs eingeladen ist. Das bedeutet für ihn einen enormen gesellschaftlichen Aufstieg. Das Buch verfügt über einen hohen Spannungsbogen, der sich aus den komplexen Beziehungen der Protagonisten ergibt. Lakshmi bietet Nimmi eine Stelle im Garten des Krankenhauses an. Sie soll sich mit ihr um die Pflege und den Anbau von Heilkräutern kümmern. „...Das Pulver des Sandelholzbaums ist gut gegen Kopfschmerzen, aber ich habe noch nicht den richtigen Platz dafür gefunden….“ Viele Kräuter, mit denen Lakshmi in Jaipur gearbeitet hat, gedeihen nun im Norden Indiens nicht so gut. Da können Nimmis Erfahrungen aus der Bergwelt helfen. Währenddessen muss Malik eine Entscheidung fällen. Bei dem Unglück im Kino war ihm an den Ziegeln etwas aufgefallen. Hinzu kommt, dass Onkel Manu zum Sündenbock für das Geschehen gemacht werden soll. Das aber will Malik verhindern. Er weiß, was im Hintergrund gelaufen ist. Fraglich ist allerdings, ob man ihm glauben wird. Eingebunden in die Geschichte sind indische Märchen und Sagen sowie eine Reihe von Sprichwörtern wie das folgende: „...Nähere dich niemals einer Ziege von vorne, einem Pferd von hinten oder einen Narren von der Seite!...“ Ein Personenverzeichnis, ein Glossar, Informationen zu indischen Goldschmuck und zwei Rezepte ergänzen die Geschichte. Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen.

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