marcello
Auch wenn mir Isabel Allende natürlich ein Begriff ist, ist sie eine der Autorinnen, die mir bislang völlig durchgegangen ist. Da muss ich erst „Violeta“ von ihr geschenkt bekommen, aber manchmal muss man zur Horizonterweiterung einfach gezwungen werden. Was mir bei „Violeta“ sofort gefallen hat, das ist die Spanne, die erzählt wird, so dass es viel historischen Kontext gibt und Allende schreckt wirklich nicht davor zurück, vieles einzubinden. Es ist eher weniger ein Zeitkommentar, da Violeta eher auf ihr direktes Umfeld bezogen ist, aber die Menschen um sie herum nehmen teilweise viel mehr Anteil an den geschichtlichen Ereignissen, was eine 100-jährige Violeta in der Retroperspektive dann auch ganz anders bewerten kann. Dementsprechend habe ich wirklich viel über Chile gelernt und das auch als sehr spannend empfunden. Der Erzählstil sieht vor, dass Violeta kurz vor ihrem Lebensende an ihren Enkelsohn schreibt und ihre Lebensgeschichte Revue passieren lässt. Dementsprechend sind wir auf sie als Erzählinstanz angewiesen. Dennoch ist dieser sehr subjektiven Perspektive auch eine Bemühung von Objektivität anzumerken, auch wenn man das wirklich mit Vorsicht sehen muss, weil Violeta dann schon einmal angibt, Sachen im Nachhinein erzählt bekommen zu haben oder dass andere Umstände später öffentlich aufgeklärt wurde. Dennoch finde ich es wichtig, dass es diese Ergänzungen gibt, weil es so ein runderes Bild und vor allem ein nicht so einseitiges Bild ermöglicht. Spannend ist natürlich auch, dass Violeta mit ihrem Enkel oft ihre Gefühle von damals teilt, um sie aber im selben Atemzug auch mit ihrem gereiften Alter neu zu bewerten. Das hat mich an diesem Buch so gereizt, weil ich als deutlich jüngerer Mensch dennoch schon solche Erfahrungen machen, wo ich frühere Erlebnisse und meine dazugehörenden Gefühle aus heutiger Sicht ganz anders bewerte. Für mich war die gewählte Stilistik auch in einem bestimmten Aspekt sehr wichtig, weil Violeta eine toxische Beziehung führt und da war der Kontrast zwischen ihren Gefühlen im Moment und bald 70 bis 80 Jahre später natürlich extrem. Auch wenn der Buchtitel „Violeta“ heißt, so ist es doch weniger die Geschichte einer einzelnen Frau, sondern einer ganzen Familie, nur eben durch die Perspektive einer einzelnen erzählt. Durch die ganze Familie, die bei dem gierigen und geltungsbedürftigen Vater losging, und schließlich bei dem Enkelsohn endet, gibt es so viel Unterschiedliches zu erzählen, dass ich wirklich viel geboten bekommen habe. Die einzelnen Kapitel sind um inhaltliche Klammern bemüht, aber gerade zum Ende hin merkt man doch deutlich, dass sich das etwas ändert und tatsächlich chaotischer wird. Zwischen den einzelnen Zeitpunkten wird wilder hin- und hergesprungen, weswegen ich hier doch schon mal länger zur Orientierung brauchte. Ich vermute aber auch, dass das von Allende absichtlich so gewählt wurde, um eben auch das Alter von Violeta widerzuspiegeln, die vielleicht nicht mehr alles so klar strukturieren kann und daher oft dahin springt, was ihr persönlich das wichtigste war. Das ergibt alles in allem eine runde Geschichte. Fazit: Mein erstes Buch von Isabel Allende in „Violeta“ ist geschafft, aber es soll nicht nach bloßem Abhaken klingen, denn ich habe ein wirklich spannendes und unterhaltsames Buch bekommen, das mich viel gelehrt hat über Südamerika, das aber auch von einer sehr heterogenen Familie erzählt, mit denen es viel zu entdecken gibt. Auf jeden Fall empfehlenswert!