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Buchdoktor

Posted on 31.3.2023

In der titelgebenden Erzählung bewirbt sich eine namenlose junge Frau in Wien um ein Gesangsstudium und verliebt sich in die erheblich ältere Fotografin Ruth, die nicht vorhat, sich von Mann und Kindern zu trennen. Beide Frauen erkennen sich sofort als lesbisch, haben jedoch keine Chance, die Hierarchie zwischen der jungen, frisch in einer fremden Stadt angekommenen Studienanfängerin und der lebenserfahrenen berufstätigen Ehefrau und Mutter zu überwinden. Die Icherzählerin will der älteren Geliebten gefallen, die sie stets analysiert, und erlebt die Unausgewogenheit als Vorwurf gegen sich. Diese sexuell explizite Erzählung wirkt erotisch und zärtlich. Sie hat mir allerdings nicht gefallen, weil ich vor der Kulisse von Kunst und Musik und dem anspruchsvollen Satzbau der Icherzählerin ihre Wortwahl unpassend umgangssprachlich fand. In 114 nummerierten Absätzen erzählt uns in der zweiten Geschichte wiederum eine Icherzählerin, wie sie und ihre Kinder bei einem Forschungsaufenthalt ihres Mannes in den USA die 80-jährige hippiehaft wirkende Angela kennenlernen und es bei ihr und der 35 Jahre älteren Frau beim ersten Blick funkt. Während die Ehe der Jüngeren u. a. kriselt, weil ihr Mann Tag und Nacht arbeitet, entwickelt sich zwischen den Frauen eine Fernbeziehung, der vermutlich beide keine Zukunft zugestehen. Während der Corona-Pandemie war Angela völlig isoliert und scheint der neuen Freiheit noch nicht zu trauen. Evtl. will sie alterstypische Probleme von der jüngeren Partnerin fernhalten, jedenfalls vermisst die Jüngere eine enthusiastischere Stellungnahme Angelas zu ihrer Liebe. Auch bei diesem ungleichen Paar scheint ein Ausgleich unmöglich. Gefallen hat mir hier die ermutigende Stimme der Freundin Lea, die die Erzählerin auf ihrem Weg unterstützen könnte, wenn die die Rückenstärkung nur annehmen könnte. Die dritte Erzählung aus neutraler Perspektive handelt von Sarah Frühwald, die seit Jahren wegen ihrer dissoziativen Störung bei Frau Selberg in Therapie ist, einen gesetzlichen Betreuer zugeordnet bekommt und zeitweilig in die Psychiatrie eingewiesen wird. Die Beziehung zwischen Therapeutin und Patientin sollte durch das Berufsethos klar definiert sein, sie sollte ... Sarah scheint jedoch ein äußerst komplizierter Fall zu sein und beide Frauen reagieren eher ungelenk. Andrea Landfried erzählt von Hierarchien in drei Frauenbeziehungen, über Abwehr, Kontrolle und Dominanz. Die Erzählungen zeigen drei unterschiedliche Frauenpaare mit äußerst geringen Chancen, auf Augenhöhe zu gelangen. Wer die Widerhaken erträgt, findet darin Stoff zum Nachdenken über die Rolle von Frauenbeziehungen in der unmittelbaren Gegenwart.

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