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Wedma

Posted on 29.3.2023

Von der Leseprobe mein Interesse geweckt, hier wollte ich unbedingt weiterlesen. Und ja, jetzt, nach so und so vielen Wochen, nach dem die letzte Seite umgeblättert, kann ich sagen, dass der Roman einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Auf drei Zeitebenen erzählt er nicht nur spannende, eigenartige Lebensgeschichten, auch ein Stück deutscher Geschichte, insb. die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Berlin, wurde hier gekonnt in den Erzählteppich eingebettet. Der Roman fängt im Jahr 2016 in Istanbul an und kehrt immer wieder, nach kurzen oder auch längeren Ausflügen in die Vergangenheit, dorthin auch zurück. In diesem Erzählstrang sucht eine junge Amerikanerin Lee, nach dem Tod ihrer innig geliebten Großmutter, nach so etwas wie Halt im Leben. Lee kann sich zu nichts aufrappeln, keine Entscheidung bezüglich ihres weiteren Werdegangs treffen, hat keine Kraft, um weiterzumachen. Als Lösungsansatz versucht sie, die Spuren ihrer Großmutter zu erforschen und reist nach Istanbul, wo diese, als junge Frau auf der Flucht aus Nazi-Deutschland, einige Jahre verbracht und in einen gefragten Journalisten verliebt war. Dabei hilft ihr auch das Tagebuch ihrer Oma, in dem sie vieles aus ihrem damaligen Leben festgehalten hatte. Diese Frau, die Großmutter, ist unbedingt des Kennenlernens wert: so geistreich und charakterstark, so mutig, strotzend vor Lebenskraft und Überzeugung, dass sie dieses Leben zu einem besseren Ort machen kann! Faszinierend. Vllt versucht Lee nun zumindest einen Bruchteil davon abzubekommen, in dem sie sich mit der Vergangenheit beschäftigt. Lee ist in vielen Dingen das Gegenteil ihrer Oma. Die Lebens- und Liebesgeschichte des damaligen Geliebten wurde in den Rückblenden erzählt: seine Zeit in Berlin der zwanziger Jahre, und wie und warum er hinkam und dann nach Istanbul ging. Hier musste ich oft an das Buch aus der Feder von Volker Ullrich „Deutschland 1923“ denken. Er hat wunderbar lebendig, ja zum Greifen nah, diese Zeit im Rahmen seines Sachbuches eingefangen. Sprachlich ist der Roman ebenso ein Highlight. Ungewöhnlich, bereichernd, herzerfrischend wirken etliche Sätze auf Türkisch. Auch einige Gedichte sind dabei. In etwa die Hälfte des Romans, wenn nicht noch mehr, spielt in der Türkei. Das passt. Und lässt auch in diese Kultur eintauchen. Dabei werden Kontraste sichtbar: Orient und Okzident, die auch in dem Zusammenhalt der Menschen, in der Art miteinander umzugehen zum Ausdruck kommen. Kontraste kann man auch in den Figuren von Lee, und ihrer Großmutter sehen, zwischen ihr und ihrem Geliebten, zwischen damals und heute usw. Man kann seitenlang über diesen Roman referieren. Besser: selbst lesen. Für mich war „Die Sprache der Sonne“ etwas zu wortreich erzählt. Das passt zwar zum Orient in dieser Geschichte, aber ich habe die Klarheit und präzise Knappheit vermisst, die ich z.B. in „Kleine Freiheit“ von Nicola Kabel genossen habe. Die Art der Stoffdarbietung bei der „Sonne“ hätte an einigen Stellen gern etwas filigraner, ja geschickter ausfallen können. Die Buchgestaltung fällt hochwertig aus, was das Buch zu einem netten Mitbringsel/ Geschenk macht. Es gibt zwei geographische Karten, in Farbe, von den Orten in der Türkei, wo der Roman spielt. Festeinband mit Schutzumschlag aus festem, glattem Papier, ein schönes Cover-Bild mit der jungen Frau, die Lee oder auch ihre Großmutter darstellt, das prima zum Inhalt passt. Fazit: Ein beeindruckender Roman, der noch lange nachhallt. Gern gelesen.

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