Yvonne Franke
Was ich Euch heute empfehlen möchte, ist mehr als eine reine Lektüre. Ich möchte diesmal sozusagen einen Serviervorschlag hinzufügen. Die Graphic Novel "Stockhausen: Der Mann, der vom Sirius kam" von Thomas von Steinaecker und David von Bassewitz ist nämlich ein derart cineastisches Ereignis, dass man unbedingt ein Date daraus machen sollte. Ich hab es für Euch getestet. Das Ganze war die Idee des besten Geburtstagsgeschenke-Schenkers, den ich kenne. Abgesehen davon, dass Bücher geschenkt zu bekommen, eh immer wunderbar ist, steckte diesmal mehr dahinter. Nämlich das Versprechen: "Wir lesen es zusammen. Wir machen uns eine Flasche Rotwein auf, setzen uns nebeneinander auf die Küchenbank und ich lese dir vor. Ab und zu legen wir eine Pause ein, um ein Stück von Stockhausen zu hören." Mm, Stockhausen, naja gut, das wird vielleicht auf skurrile, etwas elitäre Weise ganz unterhaltsam, dachte ich. Es wurde viel mehr als das. Der Autor und Filmemacher Thomas von Steinaecker hat nicht nur die Lebensgeschichte des Musikgenies Karlheinz Stockhausen zur Grundlage dieser Graphic Novel gemacht – obwohl die durchaus bereits abendfüllend wäre. Der Autor selbst wird hier zur zweiten Hauptfigur, zum Helden einer zweiten Zeitebene, die irgendwann mit der ersten verschmelzen wird. Von Steinaecker wurde noch weit vor der Pubertät von seinem Vater mit der Musik Stockhausens vertraut gemacht. Nicht aus Erziehungszwecken, sondern aus purer Begeisterung, die sich, zwar erst beim zweiten oder dritten Versuch, dafür aber mit umso größerer Wucht, auf den jungen Thomas und seinen älteren Bruder übertrug. Insbesondere der Autor entwickelt eine kindliche Besessenheit mit der Musik und dem Leben ihres Komponisten. Eine Besessenheit, die den Titelhelden nahbarer macht. Die Erzählung der, bis auf seine ungewöhnlichen Musikvorlieben, durchschnittlichen Mittelschichts-Kindheit des Autors, nimmt der grandiosen Lebensgeschichte eines der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts nichts weg, sie gibt ihr eine emotionale Basis. Stockhausens und von Steinaeckers Kindheit verweben sich miteinander. Dann hebt einer von beiden ab und der andere spürt ihm nach und versucht ihn einzufangen – was ihm irgendwann in einem Punkt gelingen wird. Den Autor und den Komponisten wird später eine langjährige enge Freundschaft verbinden. Von Steinaeckers Perspektive auf Stockhausen wird mit jeder Seite unumgänglicher. Dazu kommt, dass David von Bassewitz' Zeichnungen es schaffen, dass einem wirklich bei der gesamten Lektüre vor Staunen der Mund offen steht. Sie sind zart und süß und unschuldig, witzig, in der Kindheitserzählung des Autors. Hier entsteht eine unbeschwerte Welt, hell und flauschig, in der die 80er Jahre mit ihren fast vergessenen Eis am Stiel Marken, tschechischen Fernseh-Märchen und Masters of the Universe Actionfiguren lebendig wird. Stockhausens Kriegserlebnisse taucht von Bassewitz in Grau- und Rottöne, gibt den Gesichtern Egon Schiele-artige Schattierungen. Dann, in den 50er Jahren lässt er den Komponisten in einem zarten Pariser Frühjahr aufatmen und Kraft gewinnen. Später bewundern wir die unfassbar komplexe futuristische Architektur des Kuppelbaus, den Stockhausen 1970 auf der Weltausstellung in Osaka bespielte. Aber am erstaunlichsten ist es, wie von Bassewitz die Musik Stockhausens erlebbar, ja sogar begreifbar macht. Er zeigt Muster auf, Strategien aber auch Gefühle. Das klingt unmöglich, ist aber wirklich wahr. Und ein Date, bei dem man all das erleben darf – Holy Moly! Und (puh, zum Glück): Fortsetzung folgt.