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Yvonne Franke

Posted on 16.3.2023

Ist es wichtig, sich anzuhören, wie ein Mann mittleren Alters sein Aufwachsen in patriarchalen Strukturen reflektiert? Ja, denn es ist ein feministischer Akt. Wenn man so schonungslos die eigene Prägung seziert wie Cristian Dittloff, ist man den Frauen ein ermutigender Verbündeter. Dittloff berichtet von den anfänglichen Schwierigkeiten, sich diesem Thema anzunähern. Davon, wie ihn zunächst eine Welle anekdotischer Erinnerungen überflutete, von denen er nicht wusste, wie und ob sie sich zu einer schlüssigen Erzählung über Männlichkeit, Abziehbilder der Männlichkeit, Zwänge und Bedürfnisse, die Hoffnung darin und die Verzweiflung, zusammenfügen lassen würden. Es ist gelungen. Schon in seinem Buch "Niemehrzeit", in dem er den Tod seiner Eltern bearbeitet, die eigene Trauer offenlegt und analysiert, hat Dittloff immer wieder auch den Schreibprozess selbst in den Mittelpunkt gestellt. Denn darin wird leicht begreifbar, wie sich Gedankengänge, neue Empfindungen ergeben, wie der Autor zweifelt, Geschehnisse immer wieder neu bewertet. Auch in "Prägung" lässt Dittloff kritische Anmerkungen seines Lektors und einer befreundeten Autorin an den betreffenden Textstellen auftauchen. "Wirklich?? Das klingt irgendwie nach heutigem Wunschdenken und Überschätzung deiner jugendlichen Gedanken, oder? :-) " Der Autor zweifelt an der Geschichte, die er sich ein Leben lang von sich selbst erzählte. An anderer Stelle spricht Dittloff mit Freundinnen und Freunden über ihre Erfahrungen mit Sexismus in der Kindheit und Jugend. Das ist auch interessant, weil sich diese Erinnerungen nur zögerlich einstellen wollen. Man hatte die eindeutig sexistischen Aussagen und Handlungen damals nicht als solche entlarvt. Man musste damit leben. Als Mädchen musste man zum Beispiel damit leben, die Tür des Umkleideraums zu verteidigen, sie nur zu öffnen wenn ein geheimes Klopfzeichen ertönte. Denn ansonsten konnte es passieren, dass ein nackter Junge als lebendiges Dickpic hereingeplatzt kam. Wie kommt ein pubertärer Junge darauf, dass das für alle in Ordnung sein müsste? Welches Bild von Männlichkeit hat ihn geprägt? Das Begreifen ist ein wichtiger erster Schritt. "Bis heute habe ich das Wort Patriarchat nur von denen gehört, die die Herrschaftsform kritisieren, alle anderen reden nicht davon. Diese Ignoranz ist systemerhaltend."

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