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gwyn

Posted on 13.3.2023

Kommissarin María Ruiz kehrt nach Madrid zurück, um ihre Verteidigung vorzubereiten. Der alte Polizeichef hatte sie aus Rache suspendiert: Ungehorsam im Dienst. Es ist Anfang Mai, die Zeit der Feste von San Isidro am Fluss Manzanares (2. Mai 1808: der Kampf der Mamelucken, Rebellionen des spanischen Volkes während der Besetzung durch Napoleon und 3. Mai 1808: Erschießung der Aufständischen madrilenischen Patrioten) sind im vollen Gang, als zwei seltsame Tiermorde Rätsel aufgeben. Die Polizei sieht keinen großen Handlungsbedarf, da es sich um «Sachgegenstände» handelt (eine Rechtsgrundlage, die im neuen Tierschutzgesetz gerade in Spanien verändert wird). Geht es hier um Okkultismus? María wittert mehr dahinter. Kurz darauf wird auf einer der Flussbrücken die Leiche der Kunststudentin Sara gefunden. Die Inszenierung erinnert María an eine Zeichnung des Künstlers Goya. Auch die Inszenierung der toten Truthähne weisen auf ein Bild von Goya. «Wenn sie geglaubt hatte, dass amn als Mitglied der Polizei die Gerechtigkeit und Wahrheit ohne Weiteres vertreten konnte, so hatte sie sich geirrt. Während sie suspendiert war und um ihre Rückkehr kämpfte, war ihr Chef weiterhin im Dienst. Seine dunkle Vergangenheit lag mitsamt seiner Verbrechen begraben, trotz Noras Berichterstattung.» María, kaltgestellt, darf nicht ermitteln, denn dann würde sie dem Grund der Suspendierung in vollem Umfang entsprechen. Trotzdem ist sie fest entschlossen, den Fall aufzuklären, da die Kollegen den Zusammenhang zu Goya ignorieren. Ohne Ausrüstung, Uniform und Waffe ist sie dem Psychopathen auf den Fersen, – und es wird ein weiterer Mord geschehen. Die Szene der Ocupatas, der besetzten Häuser, ist ein Ansatzpunkt, denn hier hatte die Studentin gewohnt, im La Dragona, das sich neben dem Friedhof von La Almudena befindet. Ein jugendlicher Ausreißer aus der Gruppe hilft María weiter, zeigt ihr stillgelegt Abflusstunnel unter dem Königspalast, in denen Obdachlose wohnen – ein unbekanntes, unterirdisches Madrid, das dem Staat bisher nicht aufgefallen zu sein scheint. Ein befreundeter Journalist steht ihr zur Seite – Tausch von Information gegen Information. Auf dem Fahrrad durch Madrid, Kontakt mit jungen Menschen, die umweltbewusst leben, die den Kapitalismus in seiner Grundstruktur abschaffen wollen, María taucht ein in eine neue Welt. Der Jugendliche, Eloy, wird Marías wichtigster Verbündeter. Er hat sehr klare Vorstellungen von der Gesellschaft der Zukunft, vor allem in Bezug auf Konsum und Lebensmittel: «Niemand muss Geld ausgeben und ich bin Veganer». Er verkörpert den Trend zum Minimalismus, der auf Nachhaltigkeit abzielt. Eloy ist ein schweigsamer, liebenswerter Junge, der von Geheimnissen umhüllt ist. Ein wichtiger Helfer ist Luna, ein Journalist der alten Schule, zuverlässig, diskret, erfahren, jedoch und technologisch unbedarft, der den alten Zeiten hinterherjammert. Auf der anderen Seite haben wir Nora, eine Journalismus-Studentin und Freundin von Luna. Sie besitzt die Dynamik, die dem alten Luna fehlt, und ist ihm in technischen Recherchen voraus. Sie verkörpert den Übergang vom Kiosk zum digitalen Abonnement. Die beiden konkurrieren, gleichzeitig schätzen sie den anderen, tauschen sich aus. Auch Tomás hilft María online mit Infos aus dem Netz – er will sie nicht treffen, etwas, das María sehr weh tut – was der Leser nicht versteht, weil dies eine Beziehung aus den vergangenen Bänden ist. Wer ist der geheimnisvolle Tomás, und in welcher Beziehung stand er zu María? Es ist der 4. Band aus der Serie – der letzte. Leider wurde hier mal wieder mittendrin angefangen, anstatt die Serie in der Übersetzung von vorn aufzuzügeln. Natürlich ist jeder Fall abgeschlossen, doch in einer Serie durchläuft ein Ermittler parallel ein Privatleben, das in diesem Fall immer wieder durchsticht und leider beim Lesenden Fragen aufwirft. Bedauerlicherweise fehlt ein Hinweis auf den 4. Teil und deren Vorgänger. Für mich ist die Hauptfigur ein wenig unglaubwürdig, denn María spielt mit ihrem Job, den sie liebt. Sie bedient sich vieler Quellen, und sie allein ist auf dem richtigen Weg – die Polizei ermittelt zunächst in die falsche Richtung, hat gleich einen Verdächtigen parat. Was mich etwas störte, war die Tatsache, dass sie den engsten Polizei-Kollegen ihre Teamkollegen Martín und Esteban ihre Ergebnisse nicht mitteilt, Beweise unterschlägt. Sie sind ja befreundet und vertrauen sich – niemand hätte María verraten. Z.B. findet sie bei den Okupatas irgendwann das Notizbuch der Toten unter der Matratze. Man fragt sich nun, warum die Polizei nicht selbst unverzüglich dort gesucht hat. Und natürlich behält es María für sich, wie auch andere Infos – sie will den Fall allein lösen. Das gibt keinen Sinn, weil ja genau das nicht herauskommen darf. «Im obersten Stockwerk hing das Porträt der Familie von König Carlos IV. Sie war wahrscheinlich keine Kunstexpertin, nicht einmal Amateurin auf diesem Gebiet, aber es bedurft keine Masterabschlusses, um zu erkennen, dass sich auf der Leinwand eine Geschichte von Neid und Macht im Stil einer Seifenoper verbarg: Macht, die verdienstlose Erben zur Genüge hatten und der Wunsch derjenigen, die nach dieser Macht strebten.» Wenn man diesen Umstand herausnimmt, ist der literarische Krimi gut zu lesen, spannend, mit einigen Längen. Leider ist recht schnell klar, wer der Täter ist – nur er ist wie vom Erdboden verschluckt. Es ist gleichzeitig ein Kunstkrimi, bei dem uns die Autorin den Maler Francisco José de Goya y Lucientes näherbringt. Ein großartiger Maler, der im höfischen Kreis Spaniens beliebt war, der allerdings auch sozialkritisch agierte und aus diesem Grund später nach Frankreich ins Exil fliehen musste. Berühmt die Radierungen «Desastres de la Guerra», die die Folgen und Gräueltaten unter der napoleonischen Herrschaft und dem Unabhängigkeitskrieg der spanischen Bevölkerung darstellt, ebenso «Die Erschießung der Aufständischen vom 3. Mai 1808». Der Täter in diesem Krimi stellt mit seinen Morden Bilder von Goya nach und so begibt sich María auf die Spuren von Goya, besucht Museen und blättert in Büchern. 13 Schwarz-weiß-Abbildungen zu Goyas Bildern sind dem Roman beigefügt. Leider ist das, was María sieht, nur im Ansatz auf den kleinen Fotos zu erahnen, denn die meisten sind im Original große Ölgemälde (man kann im Netz danach suchen). Auf jeden Fall ist das ein feiner Drive zu Werk und Biographie von Francisco de Goya, der anreizt, seine Werke mal wieder in Original zu besuchen. Allein aus Marías Sicht, wäre der Krimi schwerlich zu erzählen – also bedient sich die Autorin eines allwissenden Erzählers, um die Handlung voranzutreiben. Krimi und Kunstgeschichte sind fein miteinander verwoben, und es gibt Raum für Gesellschaftskritik und einen Einblick in die Hausbesetzerszene und andere Feinheiten. Von daher lesenswerte spanische Kriminalliteratur. Berna González Harbour, geboren 1965 in Santander, startete ihre Karriere als Journalistin bei der spanischen Zeitung El País, wo sie u. a. verschiedene Ressorts leitete. Zudem ist sie regelmäßiger Gast bei Sendungen des spanischen Senders Cadena Ser und ist in Spanien eine bekannte Literaturkritikerin. Ihre Liebe für Krimis ließ sie 2012 ihr erstes eigenes Werk schreiben, 2020 gewann sie für El sueño de la razón (Goyas Ungeheuer) den spanischen Krimipreis Premio Hammett.

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