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gwyn

Posted on 13.3.2023

Der erste Satz: «So fühlt es sich in der U-Bahn an einem Freitagabend an: Die Körper haften wie Mollusken aneinander, sodass man dankbar ist, sich überhaupt noch irgendwo dazwischenschieben zu können.» Altwerden ist nichts für Feiglinge. Das muss auch die 65-jährige Hornclaw feststellen, die in ihrem Job als «Schädlingsbekämpfungsspezialistin» ein wenig nachlässt. Sie ist nicht mehr so gelenkig wie in jungen Jahren, nicht mehr so schnell, das Klettern fällt schwer, ihr fehlt die Kraft, auch ihre Aufmerksamkeit hat etwas nachgelassen. Ihre Knochen tun ihr weh. Wie lange wird sie ihren Job noch ausüben können? Diesen Auftrag hat sie wie immer sauber erledigt – doch trotzdem ist ihr ein kleiner Fehler unterlaufen. Und plötzlich wird auch noch ihr Herz weich, sie verspürt Mitgefühl. Was wird passieren, wenn die Agentur merkt, dass sie nachlässt? Einfach in Rente gehen? Wird man die beste Auftragskillerin mit all ihrem Wissen einfach so gehen lassen oder wird ein Kollege das Problem beseitigen? «Weil sie so normal wirkt und sich so verhält, wie die Gesellschaft es von ihr erwartet, fliegt sie unter dem Radar.» Ein koreanischer Thriller mit tiefgründigem Humor, der sich mit dem Altern beschäftigt. Hornclaw kennt sich im Töten gut aus, und sie hat vieles ausprobiert. Am liebsten arbeitet sie mit einem Messer, das mit einem schnell tötenden Gift fixiert ist. Sie ist ziemlich klein, kleidet sich wie eine alte Frau und wirkt völlig unauffällig. Ein kurzer Stich an die richtige Stelle und die Zielperson ist erledigt. Seit 40 Jahren tötet sie im Auftrag einer mächtigen Agentur, deren Kunden aus der Wirtschaft und Politik oder gut situierter Privatleute stammen. Jeder Auftrag wird im Vorfeld geprüft und vorbereitet. Die Ziele sind Doppelspione, Verräter von Unternehmensgeheimnissen, Feide von Firmen und untreue Eheleute, und je weniger Hornclaw über ihre Opfer wusste, umso besser. Niemals wurde sie erwischt. Doch jetzt ist sie aus dem Tritt geraten. Eine Verletzung beim letzten Auftrag führt sie zu einem Arzt und seiner Familie, die kurz darauf mit einem neuen Auftrag in Verbindung stehen; ein Opfer, das sie allerdings schützenswert findet. Gefühle darf sie sich nicht erlauben. Doch wenn die Emotionen erst mal heraus sind, kann man sie nicht mehr stoppen. «In diesem Augenblick glaubt sie aufrichtig, dass das Leben einfacher wäre, wenn sie alles vergessen würde, wie dieser alte Mann, einschließlich ihres Heimwegs – obwohl sie immer noch einen klaren Geist hat und rüstig ist. Wie es wohl ist, ein Leben zu führen, das in einer endlosen Schleife gefangen ist, bis man irgendwann stirbt?» Eine Frau, die sich jedes Mal von ihrem Hund verabschiedet, als käme sie nicht wieder, ihm eine Tür eingebaut hat, damit er nicht verhungert – sollte sie nicht zurückkehren. Eine Frau ohne Beziehungen, ohne Freunde, ohne Zukunftsgedanken: «Ihr Leben war die Gegenwart, nur wie mit gedrücktem Pausenschalter. ... weil sie keine Erwartungen oder Hoffnungen an die Zukunft hegte, weil sie lebte ... Sie dachte nicht über den Grund ihrer Existenz nach.» Diese Frau resümiert nun ihr Leben, ihr privates Leben; die Anzahl der wichtigen Personen sind an einer Hand abzuzählen. Dieser Roman ist eine Anklage an den Kapitalismus. Wer Geld hat, nimmt sich alles. Medizin zweiter Klasse. Große Handelsketten übernehmen das Sagen, verdrängen die kleinen traditionellen Geschäfte – wer sich wehrt, wird eliminiert. Korruption und Auftragsmord – die Politik mit eingeschlossen. Mit schwarzem Humor beschreibt Gu Byeong-mo das kapitalistische Gesellschaftssystem. Langsam blättert sie Figur Hornclaw auf, ihre Lebensgeschichte, wobei sie auch hier Gesellschaftskritisches einfließen lässt. Insgesamt eine unaufgeregte Geschichte, die sich eher schleppend entwickelt. Das Finale ist spannend, aber das Ende ein wenig unbefriedigend. Hier gibt es zu viele offene Fragen und manche aufgenommene Fäden werden nicht weitergesponnen. Z.B. hat Hornclaw sich eine Kopie sämtlicher Daten der Agentur gezogen, die nicht wie den Kunden versprochen alles nach Beendigung des Auftrags vernichten. Warum erwähnt man das ausführlich, wenn es keinem Zweck dient. Auf der einen Seite eine gute Idee, bissig, aber letztendlich konnte mich der Plot nicht packen. Literarisch gut geschrieben, doch mir fehlte Spannung und etwas mehr Input. Die südkoreanische Autorin Gu Byeong-mo wurde 1976 geboren. 2009 bekam sie den Changbi-Preis für Jugendliteratur. 2015 wurde sie für ihre erste Sammlung literarischer Erzählungen mit dem Today’s Writer Award ausgezeichnet.

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