letterrausch
Die 1968 in Irland geborene Schriftstellerin Claire Keegan ist vor allem für ihre Kurzgeschichten bekannt. Ihre Sammlungen von Kurzgeschichten („Wo das Wasser am tiefsten ist“ und „Durch die blauen Felder“ - beide bei Steidl) wurde mit Preisen überhäuft. Letztes Jahr war ihre Novelle „Kleine Dinge wie diese“ für den renommierten Booker Prize nominiert. Offenbar hat das das Interesse an ihrem Werk auch in Deutschland neu entfacht, denn eine alte Erzählung von ihr, die bereits vor zehn Jahren eine deutsche Veröffentlichung erfuhr, wird nun vom Steidl Verlag neu aufgelegt – in einer von der Autorin überarbeiteten Fassung und übersetzt von Hans-Christian Oeser. Und das definitiv nicht zum Schaden des Publikums! Gut, man kann sicher darüber diskutieren, dass Steidl hier für ein sehr großzügig gesetztes Buch mit 104 Seiten stolze 20 Euro aufruft (allerdings: Hardcover!). Das Lesevergnügen ist also schnell vorbei und hat ziemlich viel Finanz verschlungen. Und trotzdem: Es lohnt sich, denn „Das dritte Licht“ ist eine eine zarte, dichte Erzählung über Familienbande und Zuneigung, die nachhallt. Wir befinden uns im Irland der 1980er Jahre. Ein kleines Mädchen, höchstens zehn, soll den Sommer bei einem Ehepaar verbringen, das es (bisher) nicht kennt. Ihre eigene Familie hat mit zahlreichen Problemen zu kämpfen: Der Vater trinkt und spielt, die Mutter ist schwanger – schon wieder. Das Geld ist knapp und noch ein Maul zu stopfen, wird nicht einfach werden. Sich um eines der Kinder nicht kümmern zu müssen, ist offenbar ein verlockender Gedanke. Als die Kleine bei ihrer neuen Familie ankommt, wird schnell klar, dass hier vieles anders ist. Die Kinsellas sind liebend, fürsorglich, leise, fördernd. Sie nehmen das Mädchen auf, binden es ein und geben ihm ein liebevolles Zuhause. Doch diese gestohlene Zeit wird endlich sein – schließlich geht es zurück zu den Eltern. Nie verlässt Keegan in ihrer schmalen Erzählung die Gedankenwelt des Mädchens. Dadurch klingt vieles nur an. Vieles wird beobachtet und erzählt, aber natürlich nicht vollends verstanden – das wird dem Leser überlassen. Dadurch passiert das meiste in diesem kleinen Band zwischen den Zeilen, zwischen den Sätzen, in den Pausen. Diese leise, nachdenkliche, fast schon melancholische Grundstimmung speist die Kraft und den Sog von „Das dritte Licht“. Keegan erzählt – schon aufgrund der gewählten Perspektive – sehr zurückhaltend, nie plakativ. Sie lässt den Leser selbst denken und zu Schlüssen kommen und durch diese Freiheit entfaltet sich die ganze Stärke dieser Erzählung. Beizuwohnen, wie dieses kleine Mädchen ganz offenbar zum ersten Mal in seinem Leben liebevolle Zuwendung und das Interesse von Erwachsenen erfährt, ist berührend. Erst mit dieser überraschenden Erfahrung erkennt sie auch mehr und mehr die Defizite ihrer eigenen Familiensituation. Und doch kommt hier nie Bitterkeit ins Spiel, alle handelnden Personen nehmen die ihnen zugewiesenen Rollen als gottgegeben hin und arrangieren sich mit den Karten, die ihnen das Leben ausgeteilt hat. „Das dritte Licht“ überzeugt trotz seiner Kürze mit einer sprachlichen Intensität, die von der ersten Seite an packt. Das macht nur noch neugieriger auf mehr von Claire Keegan! Und wer zusätzlich zum Lesen auch noch Schauen will, der kann sich die im letzten Jahr herausgekommene Verfilmung von „Das dritte Licht“ vornehmen: „The Quiet Girl“.