mabuerele
„...Nichts Faules darf mit ins Glas, denn das wichtigste Konservierungsmittel ist rar, die Erdbeeren müssen ohne Zucker eingekocht werden...“ Emma arbeitet in einem Hotel in Davos. Auch in der Schweiz gibt es 1940 Einschränkungen, obwohl der Krieg das Land verschont hat. Die Autorin erzählt eine komplexe Familiengeschichte. Dabei ist das Buch zweigeteilt. Der erste Teil spielt in den Kriegsjahren. Hier bekommt jedes Familienmitglied seinen eigenen Part. Der zweite Teil wird von Helga, der ältesten Tochter, erzählt. Der Schriftstil ist über weite Strecken sachlich. Eigentlich ist die Familie Prochazka eine zerrissene Familie. Emma Prochazka hat sich von ihrem Mann getrennt. Sie wollte seine Affären nicht mehr akzeptieren. Nun hat sie Schulden abzuzahlen. Das tut sie mit Fleiß und Energie. Deshalb ist ihre Arbeit in der Schweiz so wichtig. Doch alles hat seinen Preis. Die Zwillinge Lotte und Fritz sind bei den Großeltern väterlicherseits in Brünn untergekommen. Die haben eine Fabrik. „...Seit die Kinder ihren Kostplatz im Gailtal verlassen haben und hier in Brünn wohnen, rückt Fritz immer weiter von Lotte weg. Es gibt keine gemeinsamen Kameraden mehr, keinen gemeinsamen Schulweg...“ Alfred, der älteste Sohn, bekommt eine Stelle an der NAPOLA, ist innerlich aber ganz anders eingestellt. Helga geht als Novizin ins Kloster. Als das von den Nazis aufgelöst wird, findet sie eine Anstellung an einer Blindenanstalt. Pavel Prochazka ist in meinen Augen ein Lebemann und Schlitzohr. Das zeigt sich auch an seinen Lavieren während des Krieges. Ist er nun im Widerstand oder ist er es nicht? Schwer auszumachen. Auf jeden Fall findet er in jeder Situation das richtige Wort, um sie zu entschärfen. Er hat eine Annonce aufgegeben: „...Stattlicher Herr sucht Dame mit Vermögen...“ Und das hat sogar funktioniert. Gisela, eine junge Fabrikantentochter, wird seine neue Gefährtin. Deutlich wird, wie unterschiedlich die Sicht auf die gesellschaftlichen Zustände ist, auch wenn das nur am Rande eine Rolle spielt. Wie schon gesagt, wird der zweite Teil von Helga erzählt und zwar in Form einer Rückschau. Die Familie trifft sich zu einem Treffen am Meer. Es wäre Emmas 86. Geburtstag. Doch ein Jahr zuvor hatte sie verkündet, dass sie wünscht, dass die Familie den Tag weiter im Familienkreis feiert, sie aber nicht mehr daran teilnehmen wird. Helga lässt die vergangenen Jahre vor ihren inneren Augen vorbeiziehen. Dabei lerne ich nicht nur ihr Leben, sondern auch das der Geschwister und Eltern kennen. Vieles hat sich sehr anders entwickelt, wie es zu Kriegsende schien. So ist aus der einstigen Novizin eine Frau geworden, die sich mit beiden Händen genommen hat, was ihr das Leben bot. Eines hat sie allerdings nie verloren: Familiensinn und Empathie. Ich empfand, dass der zweite Teil sprachlich feiner und differenzierter ausgearbeitet war. Emotional dicht war Helgas Zusammensein mit der taubblinden Irene. Ich hatte den Eindruck, dass diese Freundschaft Helga besonders geprägt hat. Das Buch hat mir gut gefallen.