Fina
Gestaltung: Vermutlich wäre mir das Buch allein von der Gestaltung her nicht unbedingt ins Auge gestochen. Der fallende Mensch und die Kombination aus Blau und Orange haben bei mir erst mal den Eindruck von Action oder Dystopie erweckt, an so ein philosophisches Thema wie "Wie viele Leben braucht das Glück?" habe ich tatsächlich nicht gedacht. Doch das jüngere Publikum des Buches wird von knalligen Farben wahrscheinlich eher angezogen, von daher passt das schon. An der Stelle möchte ich noch erwähnen, dass ich in den Zeiten, in denen auch Bücher gerade immens teurer werden, einen Preis von 9 Euro für dieses Buch wirklich fair finde. Darum geht's: Gabriel kann es nicht fassen! Als mit 15 Jahren endlich sein Brief ankommt, der verkündet, wie viele Leben ein Mensch hat, ist er einer der glücklichen Multis. Ganze sechs Leben hat er, und damit die Chance, Großes zu vollbringen. Doch im Laufe der Zeit merkt der Adrenalinjunkie, dass es gar nicht so einfach ist, diese Leben beisammenzuhalten... Idee/ Umsetzung: Die Autorin Véronique Petit hat sich hier einer ziemlich großen Aufgabe angenommen, wie ich finde. Der Wert des Lebens ist ja ohnehin eine viel diskutierte philosophische Frage, und diese auch noch jugendgerecht zu verpacken, da gehört schon etwas dazu. Mich hat der Klappentext direkt sehr angesprochen, und etwas überrascht war ich über die Dicke des Buches. Wir haben es hier mit einem recht dünnen Buch zu tun, das gerade mal 223 Seiten umfasst. Umso gespannter war ich, wie die Autorin dieses Thema der Leserschaft in dieser Kürze näherbringen wird. Handlung: Wir begleiten hier Gabriel, der ein ziemlich typischer 15-jähriger zu sein scheint. Er quält sich durch den Schulunterricht, möchte dazugehören und seinen Schwarm Mila beeindrucken. Als die Gleichaltrigen mitbekommen, dass Gabriel sechs Leben hat, tritt er erstmals aus der unscheinbaren Masse heraus, was ihm langsam, aber sicher zu Kopf steigt. Außerdem ist er ein leidenschaftlicher Fallschirmspringer, und möchte sein Hobby mit sechs Leben in der Hinterhand noch riskanter auskosten als ohnehin schon. Dadurch befindet sich Gabriel in einer verzwickten Lage, da er einerseits die Leben für sich und seine Leidenschaften nutzen möchte, von anderen jedoch erwartet wird, dass er heldenhaft für andere Leben opfert. Diesem Zwiespalt stellt sich Gabriel hier und bemerkt, wie schnell Leben doch vorbei sein können. Die Handlung ist in Anbetracht der Kürze der Geschichte recht knapp und prägnant geschildert. Zu Anfang lernen wir Gabriels Alltag kennen. Über die Welt und weshalb es überhaupt Menschen mit mehreren Leben gibt, wird nicht im Detail eingegangen. Wir erfahren, dass über das Blut analysiert werden kann, wie viel Leben ein Mensch (noch) hat, und dass dies erst im Jugendalter bestimmt werden kann. Viel mehr wird nicht verraten, sodass man hier nicht erwarten sollte, dass es sich um eine detaillierte Zukunftsvision handelt, die im Fokus steht. Viel mehr geht es tatsächlich darum, was Menschen mit Multileben anfangen und welchen Wert diese haben, also eher einen moralisch-philosophischen Ansatz. Da ich dies auch erwartet habe, haben mir weitere Erklärungen der Welt nicht wirklich gefehlt. Im weiteren Verlauf verliert Gabriel das ein oder andere Leben, mal durch Leichtsinn, mal durch sehr mutige Entscheidungen. Doch je mehr Leben verrinnen, desto bewusster wird sich Gabriel über seine Vergänglichkeit und weiß das Leben mehr und mehr zu schätzen. Somit haben wir es hier mit einer schönen Message für jung und alt zu tun. Figuren: Die Figuren bekommen in der Geschichte in Anbetracht der Länge nicht so viel Raum. Wir bekommen vor allem Gabriels Sicht der Dinge geschildert und haben immer mal wieder Einblicke in sein Familienleben. Mit seiner Mutter und dem Stiefvater rasselt er immer mal wieder aneinander, seine kleine Schwester gibt stichelnde Kommentare ab. Hier wird ein ganz normales Familienleben dargestellt, in dem lediglich die Besonderheit besteht, dass einige mehr Leben haben als andere. Dieser Aspekt wird aber leider nur angerissen, wir erfahren nicht näher, was das beispielsweise mit der Beziehung der Eltern macht. In der Schule lernen wir zwei, drei Charaktere genauer kennen, unter anderem Gabriels Freund Tely. Obwohl die meisten Szenen in der Schule spielen, blieben die Figuren hier etwas blass. Die Autorin versucht, verschiedene Perspektiven aufzumachen, die der Monos (die nur ein Leben haben), und die verschiedener Multis. Das bleibt allerdings etwas an der Oberfläche. Im Klappentext wird bereits die Schwärmerei Gabriels für Mila erwähnt, diese vermeintliche Liebelei empfand ich als ziemlich überflüssig, und las sich für mich eher als "es ist ein Jugendbuch, wir brauchen noch eine Liebesgeschichte". Für die Länge der Geschichte hat die Autorin spannende Charaktere gezeichnet, die sich leider nicht voll entfalten konnten. Nur Gabriel war wirklich greifbar, ich fand ihn nur nicht sonderlich sympathisch. Während des Lesens habe ich mich immer wieder gefragt, wie ich mit 15 Jahren wohl gehandelt hätte, und das wäre im Vergleich zu Gabriel recht konträr gewesen. Ich konnte manchmal nur schwierig verstehen, weshalb er leichtsinnige Entscheidungen trifft, und selbst am Ende noch unüberlegt und unreif handelt. Da würde mich wirklich interessieren, ob andere Jugendliche sich mit ihm identifizieren können. Ende: Das Ende war in meinen Augen ganz gut gelöst. Die Ereignisse überschlagen sich ziemlich, was auch wieder der Kürze des Buches geschuldet ist. Generell hätte es der Geschichte gut getan, vielleicht 100 Seiten mehr zu haben, um einfach mehr ins Detail gehen zu können, und nicht so durch die Handlung zu hetzen. Die Auflösung war okay für mich und nach dem Lesen kann ich sagen, dass die Geschichte bei mir sehr nachwirkt. Fazit: "Sechs Leben" ist ein hochinteressantes Jugendbuch, das auf altersgerecht Weise die Frage nach dem Wert des Lebens stellt. Ich wurde mit unserem Protagonisten nicht ganz warm, habe aber dennoch einige spannende Denkanstöße bekommen. In meinen Augen hätten dem Buch ein paar mehr Seiten gut getan, um mehr in die Tiefe gehen zu können und sich bei einigen Szenen mehr Zeit zu lassen. Dennoch ist diese Lektüre eine Empfehlung von mir, und sicherlich als Schullektüre sehr gehaltvoll.