Sofia :)
3,5 Sterne Vielen lieben Dank an den penhaligon-Verlag und das Penguin Random House-Bloggerportal für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars! Meine Rezension spiegelt selbstverständlich trotzdem meine ehrliche Meinung wider. Aufmachung: Die Aufmachung von „Die Legende von Sleepy Hollow: Im Bann des kopflosen Reiters“ fügt sich wunderbar neben die anderen Bücher der Autorin ins Regal ein. Wie auch schon bei ihren „Dunklen Chroniken“ steht im Fokus des Covers die Person bzw. das Wesen, um die es in der Geschichte geht, hier eben der kopflose Reiter von Sleepy Hollow. Am Rand und auf dem Buchschnitt sieht man Details wie knorrige Äste oder (auf dem Schnitt) Hufeisen, die auf den Reiter und den Wald, in dem er unterwegs ist, Bezug nehmen und daher das Bild schön abrunden. Das Buch ist ein Horror-Retelling, was anhand der Farbgebung (schwarz mit roten Details) und Kleinigkeiten wie Spritzer am Schwert des Reiters und seinem Pferd erkennt. Meine Meinung: Ich habe von der Autorin bereits ihr Arielle-Retelling sowie ihre Rotkäppchen-Neuerzählung gelesen. Dabei hat mir erstere nur begrenzt gefallen, was hauptsächlich an dem sehr langatmigen Erzählstil lag, der viele Seiten gebraucht hat, bis überhaupt mal etwas passierte, während ich die Rotkäppchen-Adaption mit ihrer bedrückenden Grundstimmung nahezu durchweg mit angehaltenem Atem gelesen habe. Ich hatte nun also zwei völlig unterschiedliche Erfahrungen mit der Autorin, weshalb ich an „Die Legende von Sleepy Hollow“ zwar vorsichtig, aber durchaus gespannt herangegangen bin. Rückblickend ist mein Eindruck vom Buch ähnlich gemischt. Vorab muss ich dazu sagen, dass ich die Geschichte rund um den kopflosen Reiter nicht genau genug kenne, um beurteilen zu können, wie viel hier aus Henrys eigener Feder stammt und wo sie ihr Werk am Original angelehnt hat. Ich habe allerdings mitbekommen, dass die Geschichte rund um Brom, Katrina und Ichabod Crane dem Original entnommen ist – diese Figuren sind hier nun etwa 30 Jahre älter und es dreht sich um Broms Enkelkind Ben. Ben ist die Figur, die ich hier am interessantesten fand, wobei mich die Umsetzung ihrer persönlichen Geschichte an einigen Stellen nicht überzeugen konnte. Kleiner Spoiler: Ben ist ein Junge, der als Mädchen geboren wurde, was in einem konservativen US-amerikanischen Dorf des 18. Jahrhunderts natürlich für Aufregung sorgt. Während ich es grundsätzlich schön umgesetzt von der Autorin finde, dass man gerade zu Anfang nicht merkt, dass Ben kein cis-Junge ist, fand ich die Art, auf die sie mit dem Konflikt seines Genders im Dorf umgegangen ist, weniger geschickt. Ben wird – wie in der Umgebung zu erwarten ist – konstant misgendert. Anstatt aber sich das Dorf und auch Ben entwickeln zu lassen, liest man immer wieder das gleiche: Ben ärgert sich darüber und die gleichen Figuren behalten ihr Verhalten bei, und gegen Ende hat Ben sich einfach damit abgefunden. In meinen Augen verschenkt Henry hier viel Potenzial in der Charakterentwicklung nicht nur ihres Protagonisten sondern auch der Dorfbewohner, die so in der Hinsicht während der gesamten Handlung auf der Stelle treten. Das ist nicht nur schade, sondern sorgt auch dafür, dass der Fakt, dass Ben transgender ist, quasi bedeutungslos nur nebenher läuft und nicht wirklich in die Geschichte mit einbezogen wird. Spoiler Ende. Aber insbesondere auch bei Katrina und Brom wird viel Potenzial verschenkt. Während Broms Entwicklung gegen Ende sich wenigstens ein wenig im Verlauf der Geschichte abgezeichnet hat – vor allem auch während eines schönen Gespräches mit Ben –, durchlebt Katrina an einer Stelle im Buch urplötzlich eine 180°-Wende, durch die sie wie ausgewechselt wirkt und die sich vorher in keinster Weise angekündigt hat. Dadurch wird ihr Charakter unglaubwürdig und unnahbar. Ähnlich verhält es sich mit dem Plot. Dabei muss ich der „Legende von Sleepy Hollow“ zugutehalten, dass die Grundstimmung ähnlich wie auch im Rotkäppchen-Retelling durchweg düster und angespannt ist, was vor allem daher rührt, dass die Gefahr, die vom Wald ausgeht, stets präsent ist, und man auch nie weiß, woher das Böse kommt und wann es auftaucht. Das Ungewisse, das dem Unheimlichen innewohnt ist zwar natürlich ein wesentlicher Grund dafür, dass sich die Spannung über das Buch hält. Dennoch – und hier komme ich zu meinem Kritikpunkt – hätte ich mir allerspätestens in der Auflösung am Ende einige Erklärungen gewünscht. Wo kommt das Böse her? Wie funktioniert seine Magie? Vieles bleibt unbeantwortet und hinterlässt ein unzufriedenes Gefühl. Selbstverständlich macht der Reiz solcher Geschichten gerade aus, dass man am Ende einige offene Fragen hat, die man mit der eigenen Fantasie ausfüllen kann. Daher wünsche ich mir bei diesen Geschichten auch nicht, dass ich alle Antworten bekomme. Wenn ich aber am Ende das Gefühl habe, dass sich die Handlung nur wenig entwickelt hat und dann am Ende einfach nur aufgelöst wurde, ohne dass ich die Hintergründe wenigstens etwas nachvollziehen konnte, bin ich enttäuscht. Das ist in meinen Augen die größte Schwäche des Buches und der Grund dafür, weshalb ich es nicht so genossen habe, wie ich es gerne gewollt hätte: Sowohl im Hinblick auf Bens Hintergrundgeschichte als auch die Charakterentwicklungen von Katrina, Brom und den anderen Dorfbewohnern wie zuletzt auch der Plot an sich hat „Die Legende von Sleepy Hollow“ zwar sehr viel Potenzial, das dann letztlich aber leider nicht ausgeschöpft wird. In allen genannten Aspekten wird hier nur an der Oberfläche gekratzt, sodass der Leser trotz der durchaus hohen Spannungsdichte am Ende minimal enttäuscht aus dem Buch herausgeht. Für ein bisschen Grusel gerade zur dunklen Jahreszeit eignet sich „Die Legende von Sleepy Hollow“ hervorragend, man darf eben nur nicht zu viel erwarten. Fazit: „Die Legende von Sleepy Hollow“ bietet durch das Ungewisse des Unheimlichen einige spannende Lesestunden, die durchaus gut unterhalten können. Vor allem Bens Charakter, aber auch die Legenden an sich sowie die anderen Dorfbewohner haben viel Potenzial. Leider wird in all diesen Aspekten aber nur an der Oberfläche gekratzt und das Potenzial nicht ansatzweise ausgeschöpft, sodass der Leser trotz der durchaus hohen Spannungsdichte letztlich doch minimal enttäuscht aus dem Buch herausgeht. Für ein bisschen Grusel gerade zur dunklen Jahreszeit eignet sich „Die Legende von Sleepy Hollow“ hervorragend, man darf eben nur nicht zu viel erwarten. 3,5/5 Lesehasen.