Buchdoktor
Salomé ist zu einer Jugendstrafe verurteilt worden, mit der Auflage, sich in der Einrichtung einer Therapie zu unterziehen. „Der Donut“, das runde Gebäude, bildet die Situation gefährdeter Jugendlicher treffend ab. Acht Mal mehr Jungen als Mädchen sitzen dort ein; der Mädchentrakt ist durch ausbruchsichere Wände vom Jungentrakt getrennt. Wer motzt, kommt in eine Isolationszelle. Privilegien wie Besuch oder Ausgang kann sie erst erhalten, wenn sie Termine bei ihrem Therapeuten und Mentor Frits einhält. Ausgerechnet Frits van Gestel, der sich für einen Afrika-Experten hält und sich in einem rassistischen Reality-Format landesweit zum Narren machte, befragt Salomé nun zu ihrem Verhältnis zu ihrer „Kultur“. Wie soll eine Kultur bezeichnet werden, in der der Familiensitz in Kamerun liegt, der Vater in Paris aufwuchs und die Familie in den Niederlanden lebt? Und was meint er mit Zuhause, wenn man sich aus seinem Haus nicht mehr auf die Straße traut? Salomé radelte als einziges und dazu dunkelhäutiges Mädchen aus ihrem Dorf ins Gymnasium der nächsten Stadt. Auf einsamer Landstraße zwischen Rinderweiden und Entwässerungskanälen ist jemand ohne Unterstützerclique Freiwild. ... Die jüngere Tochter einer rassistisch gemobbten Familie beschreibt aus der Ichperspektive ihre Situation treffend. Eine Hälfte ihrer Persönlichkeit hat offenbar eine Gewalttat begangen und wurde deshalb verurteilt, aber das ist nicht die wirkliche Salomé, die sich ihrer Tat schämt. Dass Tante Celéste (deren Studium ihr wohlhabender Mann finanziert) Salomé ermuntert, allein auf ihr „tiefstes Ich“ zu hören, hilft der jungen Frau gerade wenig. Salomé erzählt in Rückblenden von der Hilflosigkeit ihrer Familie gegenüber rassistischem Mobbing, das sich in der Gegenwart weiter steigert und von ihrem Bezug zur Familie in Kamerun. Was jedoch am Tag passierte, als „alles außer Kontrolle geriet“, und was ihre Alpträume damit zu tun haben, das verdrängt sie beinahe bis zum Ende ihrer (fiktiven) Geschichte. Eine Jugendliche kommt hier zu Wort, die damit beeindruckt, dass sie auch die Situation ihrer Mit-Insassinnen und ihrer Familie im Blick behält. Der Begriff Zorn wirkt in Simone Atangana Bekonos kurzem Roman wie ein Euphemismus für die brisante Mischung aus Rassismus, Kränkung und Hilflosigkeit, mit der Salomés Familie konfrontiert ist.