wandanoir
Vom Leben, vom Tod und von der Musik. Kurzmeinung: Nicht der übliche Generationenroman! Der Autor hat mit diesem zauberhaften Roman das isländische Leben vergangener Tage mit dem Island von heute verbunden. Wie hat er das gemacht? Indem er sein Gedächtnis verlor! Die Menschen von denen Stefánsson berichtet, leben in einem relativ abgeschiedenen Fjörd, in Island ist es immer kalt. Die Natur bestimmt das Leben. Doch obwohl die Menschen nicht reich sind und oft kaum ihr Auskommen finden, sind sie nicht hinterwäldlerisch. Sie haben eine Antenne zur restlichen Welt und manche von ihnen bereisen sie auch, kehren jedoch immer wieder zurück, weil Island ihre Heimat ist. Und Heimat ist Heimat. Der Autor himself ist im Buch und deshalb nah dran! Er lebt in einer Symbiose oder einer Art Doppelexistenz mit einem Heimkehrer, der sein Gedächnis verloren hat und nun, als er die Seinen wiedertrifft, nicht weiß, wie er sie einordnen soll, deshalb schreibt er über sie. Das ist sehr charmant. Diese Menschen sind wie sie überall sind. Verlorene Seelen, meint er, die eine Weile glücklich sind. Wir leben und dann sterben wir. Punkt. Der Kommentar: In Stefánssons Schreibweise muss man sich ein wenig einleben. Seine Figuren sind sehr musikverliebt und oft traurig bis depressiv. Weil sie einen so nahen Bezug zur Musik haben, spielt Musik und spielen Musiktitel eine große Rolle im Buch, ständig werden Songzeilen zitiert, auf dem Fest, wo sich Lebende und Tote vereinen, wird die Playlist der Toten gespielt. Diese Playlist mit sämtlichen Titeln darauf, findet sich am Ende des Buches gelistet. Eine nette kleine Zugabe, es sind sicherlich vom Autor sehr geschätzte Songs. Der Erzähler ist auf dem Weg zu diesem Fest und auf dem Wege erzählt er von allen, die eigentlich zur Fjördgemeinschaft dazugehören, von denen einige aber bereits das Zeitliche gesegnet haben. Der Roman ist jedoch keineswegs esoterisch angelegt und Geister haben keinen Zutritt. Natürlich sind die erzählten Schicksale besonders, die Vater-Sohn-Beziehungen sind problematisch; die Familie wird immer getragen von den Frauen. Die Männer haben den Alkohol. Und, wie gesagt die Musik. Sie tröstet doch immer. Und natürlich geht es auch um den Tod. Eine Weile sind wir da und dann sind wir fort. Allein diese Tatsache macht die Melodie des Lebens melancholisch. In diesem Roman habe ich nichts vermisst. Aber auch gar nichts. Es ist ein langsames Buch in getragenem Ton und einer sehr sanften untergelegten Heiterkeit, für die man jedoch ein Ohr braucht, sonst bleibt sie unbemerkt. Die vielen Wiederholungen, die der Autor als Stilmittel einsetzt, haben ihre berechtigte Wirkung als Verzögerungen, Vertiefungen und Akzentuierungen. Man muss sie mögen, sie sind wie Gedichtzeilen. Das ganze Buch ist adagio. Ganz und gar nichts für Spannungsleser, obwohl die Geschichten, die erzählt werden, nicht ohne sind. Fazit: Wunderbar! Islandverliebt. Kategorie: Anspruchsvoller Roman Verlag: Piper, 2023