Yvonne Franke
Die Schauspielerin Polly Altes, Mutter seiner Tochter Mimi, nannte Marius Müller-Westernhagen eine " minor local cult figure". Mit dieser charmanten Untertreibung fühlte er sich wohl. Sie schien ihm passend, obwohl er der erste Mensch war, der mit deutschsprachiger Musik die großen Stadien füllte. Oft sogar kamen in derselben Stadt an zwei aufeinander folgenden Tagen 60 000 Menschen, um ihn spielen zu sehen. Rechnet man alle zahlenden Zuschauer'innen seiner Tour zum Album "Jaja" im Jahr 1992 zusammen kommt man auf unglaubliche 700 000. Als einzelne Person, die derart die Massen bewegt, muss man sich schon ziemlich anstrengen, um sich einen Rest von Demut zu bewahren. Und wer Westernhagen je live sah, schillernd und theatral – zumindest damals, dem fiele der Begriff Demut nicht als erstes ein. Trotzdem scheint sie ihm ein Leitmotiv im Umgang mit seinen kreativen Kräften und denen anderer, erfährt man im kürzlich erschienen Porträt des Künstlers von Friedrich Dönhoff. Dönhoff wusste so gut wie nichts über sein zukünftiges Forschungsobjekt, als Diogenes Verleger Philipp Keel ihn bat, sich doch einmal mit Westernhagen zu treffen und zu sehen, ob sich sich daraus ein Buch entwickeln ließe. Dönhoffs Unvoreingenommenheit tut dem Text gut. Man erlebt mit, wie die beiden Männer sich kennenlernen, einander näher kommen, vielleicht sogar Freunde werden. Sie hören gemeinsam Musik, trinken Espresso, spazieren durch Charlottenburg, stöbern durch Einrichtungsgeschäfte und reden, reden, reden. Der Austausch zwischen ihnen ist organisch und nicht von störender Ehrfurcht getragen. Das Porträt ist reportagenartig strukturiert. Dönhoff ordnet die anekdotisch eingeflochtenen Lebenserinnerungen Westernhagens – den frühen Tod seines Vaters, die erste Rockband, die junge Schauspielkarriere und die ersten eigenen Texte und Kompositionen, das Kämpfen um deren Veröffentlichung und den verblüffenden Erfolg – zeitgeschichtlich ein, streut Songtexte dazwischen und lässt immer wieder in Interviewsequenzen die Stimme seines Gegenübers 1:1 erklingen. Und das "hört" man wirklich gern. Ein Beispiel: "Ich muss eine Liebesbeziehung eingehen mit den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Eine andere Möglichkeit gibt es für mich nicht. Ich arbeite nicht mit Arschlöchern zusammen." Dass Marius Müller-Westernhagen, der so gut wie nie öffentlich über sich sprach, diese Form, sein Leben erzählen zu lassen, für passend empfand, ist nachvollziehbar. Dönhoff verklärt ihn nicht. Man lernt ihn ein wenig als Menschen und Künstler kennen, wird inspiriert, stellt die "lokale Kultfigur" in einen Kontext und bekommt große Lust mal wieder ein paar seiner Songs zu hören.