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Wenn am Tag nach dem Erscheinen eines Buches eine Rezension gepostet wird, dann sagt das sowohl etwas über den Verfasser (hat Zeit, ist interessiert und motiviert), als auch über die Publikation aus: Was macht also dieses Buch so anregend, informativ oder bewegend, dass ich davon nicht lassen konnte? Die dänische Neurobiologin und Wissenschaftsjournalistin Lone FRANK hat ein „persönliches Sachbuch“ geschrieben. Dabei stellen die privaten Voraussetzungen und Fragestellungen deutlich mehr als eine Rahmenhandlung für Sachinformationen dar: Die Autorin verwebt ihre Biografie geradezu mit den fachlichen Inhalten und stellt ihren individuellen Erkenntnisprozess als einen integralen Bestandteil der Sachbotschaft dar. Geschaffen wird so ein Geflecht von Erkenntnissen und Bezügen, in denen es keiner Fallbeispiele mehr bedarf. Die Autorin stellt sich selbst als solches zur Verfügung – was den Vorteil hat, dass sich Zusammenhänge im Längsschnitt einer ganzen Biografie zeigen lassen. Das geradezu monumentale Thema „Liebe“ wird durch die Privatheit des Zugangs auch verfügbar gemacht: Statt der systematischen Gliederung eines Fachbuchs folgen wir der Autorin auf ihrem eigenen Weg durch das Labyrinth dieses „Höchsten der Gefühle“ – schauen ihr dabei zu, wie sich Perspektiven und Aspekte zusammensetzen und mit eigenen Erfahrungen verschmelzen. FRANK hat den (ebenfalls biografisch unterfütterten) Anspruch, sich dem Thema „Liebe“ wissenschaftlich zu nähern. Sie führt Gespräche mit Fachleuten, zitiert zahlreiche Autoren/Autorinnen, stellt Forschungsergebnisse dar und lässt sich auch bei ihrer Selbsterkundung fachlich begleiten. Berührt werden alle erdenklichen Zugänge: evolutionäre, genetische, hirnphysiologische, hormonelle, entwicklungs- und persönlichkeitspsychologische, historische, kulturelle, mediale usw. Auch thematisch ist der Blick weit gefasst: Angefangen von der Brutpflege bei (bestimmten) Säugetieren, über Eltern/Kind-Liebe, Bindung, Verliebtheit, Spielarten längerfristiger Beziehungen, Eifersucht, Polyamorie, Freundschafts-Liebe, Tierliebe, digitale Partnersuche – bis zur aktuellen Einsamkeits-Problematik. Der – vielleicht etwas ungewöhnlich intensive – Blick auf Trauer um eine verlorene Liebe erklärt sich durch die persönliche Ausgangslage der Autorin: Für sie war der Verlust eines geliebten Partners der Startpunkt für ihre Reise durch das Liebes-Land. FRANK lässt nicht nur ihren Erkenntnisprozess und die damit verwobene Selbstreflexion recht frei fließen, sie dokumentiert das auch in der (Nicht-)Gliederung ihres Textes. Das Buch kommt ohne Kapitel- oder Zwischenüberschriften aus und hat entsprechend auch kein Inhaltsverzeichnis. Der Sachbuchcharakter beweist sich dann an anderer Stelle: durch ein ausführliches Literaturverzeichnis. Wie der breitgefächerte Zugang erwarten lässt: Natürlich steht auch am Ende dieses Buches keine „Antwort“ – weder darauf, was genau die Liebe ausmacht, noch auf die Frage nach der persönlichen Liebesfähigkeit (und deren Grundlagen). Das Gebiet ist komplex und unübersichtlich, aber es lassen sich Schneisen schlagen und manchmal erreicht man einen Aussichtspunkt, der ein wenig Überblick ermöglicht. Auch hier passt dann die vielzitierte Weisheit: „Der Weg ist das Ziel“. Positiv ist zu bewerten, dass FRANK immer wieder darauf aufmerksam macht, dass man seine Liebes-Persönlichkeit eben nicht selbst basteln und frei wählen kann. Gerade die Vielfältigkeit und Komplexität der Einflussfaktoren sollte daher zu einer gewissen Bescheidenheit bzgl. der Selbstoptimierung führen. Überhaupt warnt die Autorin eher vor dem Druck, der von verfestigten Bildern und Normen ausgeht (z.B. hinsichtlich des Verliebtheits-Rausches als zwingend notwendiger Anfangsphase). Auf der anderen Seite sieht FRANK aber keinen Grund zum Fatalismus: Da das Zusammenspiel von Biografie, Gefühlsprägungen, kognitiven Einstellungsmustern und konkretem Verhalten so verschachtelt ist, können eben auch gewisse „Umprogrammierungen“ stattfinden (indem man durch ein anderes Denken oder Verhalten auch Gefühle beeinflusst). Wenn auch das Buch für ein „vorgebildetes“ Publikum nur wenige inhaltliche Neuigkeiten bereithält, so gehen doch einige der Überlegungen zu aktuellen gesellschaftlichen Trends deutlich über ein etabliertes Fachbuchwissen hinaus. Zusätzlich laden die persönlichen Anmerkungen und Bewertungen der Autorin immer wieder zu Reflexion oder Diskussion ein. Für Menschen, denen z.B. die Feinheiten der Bindungstheorie, die hormonellen Grundlagen von Verliebtheit/Liebe und die Aspekte bzw. Methoden der Liebes-Forschung bisher nicht vertraut waren, erhalten eine wirklich fundierte Einführung in dieses Forschungsfeld. An einigen Stellen mag man vielleicht doch mal eine Systematik vermissen oder die privaten Einstellungen der Autorin für weniger bedeutsam halten. Insgesamt ein tolles und extrem anregendes Buch – das gerade durch seinen subjektiven Zugang ein buntes Kaleidoskop an Perspektiven und Betrachtungen enthält und damit für jede/n Liebes-Neugierige/n etwas zu bieten hat.