Yvonne Franke
In Jochen Schmidts Roman "Phlox" gibt es so gut wie keine Absätze. Das sieht erstmal seltsam aus, ergibt aber nach kürzester Zeit uneingeschränkt Sinn. Die Welt macht auch keine Pause und wenn man so genau in sie hinein sieht wie Schmidts Held Richard Sparka, dann hat man keine Zeit für Absätze. Seine Bewunderung für die Schönheit der Details ist fließend. Und so gerät man schneller als man denken kann in einen herrlichen Zustand: den des Lesens, ohne das Lesen zu bemerken. Richard Sparka reist mit seiner Frau Klara und den, wie mir spät auffiel, nach ihnen benannten Kindern Ricarda und Karl, zu einem letzten Besuch nach Schmogrow im Oderbruch, in das Haus, in dem er die gesamten Ferien seiner Kindheit verbracht hat. Dort enthält das Knarren dieser einen Treppenstufe und das Berühren jedes Gegenstands den Anfang und das Ende einer Geschichte. Sparka atmet Gegenwart ein und Vergangenheit wieder aus und wir passen uns seinem Rhythmus an und lernen dabei ganz natürlich, wie bei einem Ferienausflug und dann noch einem und noch einem, dieses Schmogrow kennen, dieses Haus, das Gastgeberpaar und die anderen Gäste. Es ist, als würde man von jemandem in der Welt herumgeführt, der einen weiteren Sinn besitzt. Als Sparka beim Drehen eines Lichtschalters aus Bakelit nach Jahren wieder dessen Schnappen hört, fühlt er sich so lebendig in seine Kindheit zurückversetzt, dass er sich fragt: "Was habe ich damals noch berührt und zu Gold gemacht, so, dass es jetzt zu mir spricht?" Aber nicht nur, dass diese Gegenstände zu ihm sprechen, formt die Geschichte, sondern auch, wie sie zu ihm sprechen. Schmidt findet hier oft Worte, bei denen man unwillkürlich denkt: so bleibt es jetzt, so werde ich diese Dinge ab jetzt auch denken können. Ein Stuhl trompetet, wenn man ihn auf dem Steinfußboden verrückt. Das stimmt einfach. Außerdem stimmt, dass man abwesende Väter bestenfalls als "Schein -Werfer" bezeichnen kann. Und Frau Pastor heißt "Pastete". Über viele dieser unendlichen Einfälle muss man schmunzeln, laut lachen und dann haken sie sich fest und verzahnen sich miteinander zu dem lebendigen Porträt einer Landschaft und einer Zeit. Einer DDR-Idylle, einer Insel der Freiheit im Eingesperrtsein. Und dieses Haus in Schmogrow ist auch ein Ort, an dem verdrängte Kriegserinnerungen aufplatzen und sich seltsam oft in Liebe oder zumindest Fürsorge verwandeln. Und ein Ort an dem Spiele mehr Spaß machen, Speisen besser schmecken und Bücher leichter zu lesen sind. Richard Sparka sagt mit Recht: "Bei nicht wenigen Tätigkeiten, auf die andere stolz waren, wäre es meiner Ansicht nach ja weniger schädlich für die Allgemeinheit gewesen, wenn sie durch Lesen ersetzt worden wären." Und der Titel des letzten Kapitels, der stimmt übrigens auch: "Ein Leben ohne Phlox ist ein Irrtum."