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FrauFrohmann

Posted on 21.10.2018

Ich beschreibe meine Lektüre-Erfahrung, weil sie so bezeichnend ist für das, was ich u. a. unter dem Hashtag #umsehenlernen beschreibe, diese Unfähigkeit, Bücher, die vom Gewohnten abweichen, richtig sehen zu können und von der überdurchschnittlich oft Bücher von Menschen betroffen sind, die nicht von weißen cis-Männern geschrieben wurden, weshalb sie weniger besprochen, verkauft, gelesen werden. Ich habe nämlich zunächst Fluchtimpulse beim Lesen entwickelt, Momente von ›Ja, schon gut, aber erst mal Kaffee, Netflix, Garten, anderes Buch?‹. Und zwar einfach nur, weil ich lange nicht »zum Spaß« gelesen hatte und mein faules Gehirn gern so was Altbewährtes wie DeLillo oder Roth haben wollte, eben das, was es zeitlebens am häufigsten als gut vorgesetzt bekommen hat. Diesen Abwehrmechanismen habe ich widerstanden, was eine gute Idee war, denn ab der dritten Geschichte war aus dem ›Viersterne-Buch, das ich doch lieber später weiterlesen würde‹ ein tadelloses Fünfsterne-Buch geworden: mit einer sehr eigenen Stimme, einem tollen Mix aus kulturell spezifischer und global identifizierbarer Abwegigkeiten, mit der perspektivischen Gnadenlosigkeit gegenüber eigenen Schwächen, die ich speziell bei Autorinnen sehe und liebe und der zugleich nüchternen und sprachmächtigen Darstellung dessen, was es heißt, in einer von Krieg und Vertreibung bestimmten Zeit und Welt als Mensch zu überleben und irgendwie klarzukommen. ›Irgendwie klarkommen‹ ist überhaupt das relevanteste literarische Thema der Gegenwart, das wissen nur noch nicht alle! Dies also ist mein Indietipp 1/2 der Woche. Kauft bitte, wenn ihr das Geld dafür, das Buch oder E-Book, hievt es in die Verkaufscharts, hier über mojoreads oder bei eurer Lieblingsbuchhandlung, lest es, besternt es, empfehlt es weiter. Bittet eure Bibliothek, es anzuschaffen. Benutzt bitte, wenn ihr im Netz dazu was schreibt, #indierealität, denn darum geht es: Bücher und E-Books aus Indieverlagen mit Stimmen, die sonst nicht gehört werden, weil das Feuilleton sie nur in Ausnahmefällen entdeckt, IN DIE REALITÄT zu bringen, sie wahrnehmbar zu machen, die Vorstellung dessen, was als schöne, interessante, relevante Literatur betrachtet wird, deutlich zu erweitern. #indierealität versteht sich als Ergänzung zu den Initiativen #vielfaltdurchlesen und #indiebookchallenge. Ich schlage genau zwei Titel pro Woche vor, weil diese eine realistische Chance haben, im Idealfall von uns allen zusammen in die Verkaufscharts befördert zu werden. – Verkäufe und Konsum verändern im Kapitalismus auch kulturelle Realitäten. – Lasst es uns versuchen. Ich empfehle nur Bücher, die ich selbst gekauft und komplett gelesen habe, Bücher aus meinem eigenen Verlag fallen aus naheliegenden Gründen leider raus. No Bro-Culture, versprochen.

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