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FrauFrohmann

Posted on 21.10.2018

Bei Menschen auf Twitter oder sonstwo im Netz, die für ein bestimmtes Thema stehen, habe ich mir angewöhnt, so vorhanden und wenn ich nicht gerade total pleite bin, deren Bücher zu kaufen und zu lesen. Damit zeige ich mehrfach meine Wertschätzung: Ich honoriere finanziell ihre unbezahlte Arbeit im Netz, ich lasse sie umfassend aussprechen und höre konzentriert zu, ich missbrauche sie nicht als menschliches Google für auch bei mir spontan aufpoppende Fragen. ›I'm a queerfeminist cyborg, that's okay‹ beantwortet präzise und verständlich alle Fragen zu Be_Hinderung und Mehrfachmarginalisierung, die man Mika Murstein schon x-mal auf Twitter gestellt hat oder vielleicht genau in dieser Sekunde stellen würde, läse man nicht gerade meine Rezension. Das Buch ist ein Memoir mit sehr solider und zugänglicher Theorieanbindung. Mika erzählt vom Aufwachsen und Leben mit Be_Hinderung, erklärt Diskurse und Begriffe in diesen Kontexten, die im Netz oft vorausgesetzt werden und genauso oft falsch angewendet, was sachliche Kommunikation erschwert. Es werden auch Utopien entworfen, die nichts mit der gängigen Vorstellung von »Inklusion« zu tun haben. Die Lektüre lässt einen auf angenehme Weise belehrt zurück. Mika Murstein nennt das Buch selbst »Backsteinbuch«, und es ist wirklich ein ziemlich dicker Klopper mit seinen 462 Seiten. Aber die Schrift ist groß, denn das Buch gibt sich Mühe, möglichst barrierefrei zu sein, und so lässt es sich locker weglesen, ein wirklich freier Sonntag genügt dafür, habe ich für euch getestet. Wer schreckliche Angst vor Texten mit vielen Unterstrichen hat: Stellt euch einfach vor, es wäre visuelle Typografie, also Avantgarde, dann lässt es euer Dünkel huldvoll passieren. Außerdem sollten euch lieber die vielen von Rechten etablierten Neologismen Sorge bereiten. »Backsteinbuch« hat mich auch noch auf eine andere Idee gebracht, nachdem mein großer Sohn kürzlich mit ›Herr der Ringe‹ nach seinem Bruder warf: ›I'm a queerfeminist cyborg, that's okay‹ wäre perfekt, um es nach rechten Trollen zu werfen! Dies ist mein Indietipp 2/2 der Woche. Kauft bitte, wenn ihr das Geld dafür, das Buch, hievt es in die Verkaufscharts, hier über mojoreads oder bei eurer Lieblingsbuchhandlung, lest es, besternt es, empfehlt es weiter. Bittet eure Bibliothek, es anzuschaffen. Benutzt bitte, wenn ihr im Netz dazu was schreibt, #indierealität, denn darum geht es: Bücher und E-Books aus Indieverlagen mit Stimmen, die sonst nicht gehört werden, weil das Feuilleton sie nur in Ausnahmefällen entdeckt, IN DIE REALITÄT zu bringen, sie wahrnehmbar zu machen, die Vorstellung dessen, was als schöne, interessante, relevante Literatur betrachtet wird, deutlich zu erweitern. #indierealität versteht sich als Ergänzung zu den Initiativen #vielfaltdurchlesen und #indiebookchallenge. Ich schlage genau zwei Titel pro Woche vor, weil diese eine realistische Chance haben, im Idealfall von uns allen zusammen in die Verkaufscharts befördert zu werden. – Verkäufe und Konsum verändern im Kapitalismus auch kulturelle Realitäten. – Lasst es uns versuchen. Ich empfehle nur Bücher, die ich selbst gekauft und komplett gelesen habe, Bücher aus meinem eigenen Verlag fallen aus naheliegenden Gründen leider raus. No Bro-Culture, versprochen.

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