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Buchdoktor

Posted on 4.1.2023

Als Della Miles sich nachts auf dem Friedhof mit einem Weißen Fremden trifft, wirkt der Mann mit seiner Deckenrolle wie ein Obdachloser und gleich mehrfach am falschen Platz. Er drückt sich gewählt aus und ist ärmlich, aber sauber gekleidet. Weder Della, Tochter eines angesehenen Schwarzen Priesters, noch der in der Stadt fremde John Boughton hätten sich ohne Hut und sauber abgebürstete Kleidung auf der Straße sehen lassen dürfen. Ein Paar, das verschiedenen Rassen angehörte, war jedoch im Iowa der 50er Jahre wegen der Rassentrennung schlicht verboten; beide machten sich mit ihrem Zusammentreffen strafbar. Della würde ihre Stelle als Lehrerin verlieren, wenn die ungleiche Beziehung bekannt würde. Aus den Gesprächen des ungleichen Paars schält sich heraus, dass Jack frisch aus der Haft entlassen ist. Spuren des Alkohols und eines harten Lebens sind seinen Gesichtszügen anzusehen. Aus Scham hat er sich 20 Jahre nicht nach Gilead zurückgetraut und seinem Vater in dieser Zeit stets nur leere Versprechungen gemacht. Zur Beerdigung des Vaters erschien John Boughton nicht. Bis heute unterstützt ein Bruder den verlorenen Sohn, indem er dessen Miete zahlt. In „Zuhause“ erzählte Jacks jüngste Schwester Glory das Drama des verlorenen Sohns. Wider besseres Wissen stellt Della Jack ihrer Familie vor. Dellas Vater bringt die Unmöglichkeit ihrer Beziehung auf den Punkt: Was können Sie Della schon bieten!, wirft er Jack vor. Als Predigertochter kämpft auch Della wie Jack damit, gegen ihre Überzeugung etwas zu glauben, allein um ihren Vater damit glücklich zu machen. Als ledige, berufstätige Schwarze Frau ist sie zu ihrer Zeit mehrfach diskriminiert, Aktivisten nennen es heute Intersektionalität. Dass Jack sich bis zur Begegnung mit Della 20 Jahre lang mehr schlecht und recht durchgeschlagen hat, ahnt man als Leser schnell. Wer „Zuhause“ kennt, weiß jedoch bereits mehr, als Jack in kleinen Dosen zu erkennen gibt. Neben dem eigentlichen Thema Rassentrennung und Rassismus im ländlichen Iowa bietet „Jack“ ein entlarvendes Bild der 50er Jahre, das besonders in der Wortwahl zum Ausdruck kommt. Wörter wie Filou, Billet, Trottoir, geziemen, innewohnen oder zeitigen scheinen direkt aus dem Museum älterer Ausdrücke zu stammen. Die Übersetzung ins Deutsche vermittelt im Ausdruck die Enge eines Jahrzehnts, das neben seinen Ansprüchen an Moral und Straßenkleidung Männer u. a. danach beurteilte, in welchem Krieg sie gedient hatten.

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