wandanoir
Kurzmeinung: Hat mich nicht überzeugt Zeitgenössische Probleme - lose aneinander gereiht Der Roman „Nebenan“ beschäftigt sich zunächst mit Problemen der Kleinstadt. Leerstand aufgrund hoher Mieten im Zentrum, Landflucht. Dieser Thematik wäre ich gerne gefolgt. Wären da nicht so viele andere Themen nebenher mit eingeflossen. Selbstverständlich die Plastikverschmutzung. Umweltschutz muss. Unerfüllter Kinderwunsch und Hormonbehandlung ist ein weiterer Themenbereich. Wir hören die Klagen der Protagonistin Julia, um die vierzig, über das Unverständnis männlicher Ärzte, und das Unverständnis ihres Partners, der zwar behauptet, mit ihr auch ohne Kinder glücklich sein zu können und Hormonbehandlung ist halt teuer, deshalb könne man auch wieder damit aufhören, sagt er, aber kann sie dem Kerl trauen, der vielleicht nach 15 Jahren mit einer anderen, einer Jüngeren doch noch ein Kind zeugt? Sie sitzt in der Falle. Die Gedanken Julias zum unerfüllten Kinderwunsch nehmen einen breiten Raum ein, gehen dann aber doch nicht in die Tiefe und bleiben irgendwo stecken. Und wollten wir nicht über das Sterben von Kleinstadt und Landflucht lesen? Oder schreiben? Unerfüllter Kinderwunsch wäre einen eigenen Roman wert gewesen. Es gibt dazu tatsächlich eine Menge zu sagen, zum Beispiel, dass man nicht alles im Leben beeinflussen kann und dass menschliche Machbarkeit eine Grenze hat; oder dass keine Ehe einen Garantieschein besitzt; oder dass man auch dann ein erfülltes Leben haben kann, wenn man sich nicht reproduziert; und überhaupt. Aber davon lesen wir leider nichts weiter. Weil man dann in die Tiefe hätte gehen müssen und Kleinstadt überhaupt keine Rolle spielte. Und auch sonst nichts. Nichts spielt wirklich eine Rolle. Themen, tauchen auf, versuchen zu zünden, aber bevor die Lunte den Sprengstoff erreicht, wird sie ausgetreten. „Nebenan“ könnte sehr wohl auch „Nebenher“ heißen. Oder „Perlenschnur unbehandelter Thematiken“. Eine zweite Protagonistin stellt das Problem des Ärztemangels in den Raum und lässt es dort unbeachtet stehen. Die Doktorin Astrid ist sechzig und macht sich allmählich Gedanken über einen Nachfolger. Dabei hätte ich sie gerne begleitet. Aber sie kümmert sich dann doch lieber um Elsa, ihre betagte Tante, die sich allmählich aufs Sterben vorbereitet und ihr Haus ausräumt, Möbel verkauft, verschenkt, nur noch ein Stockwerk ihres Hauses nützt. Lebensende. Abschied. Trauerarbeit, die der Nochlebende leisten muss. Wieder eine Thematik, bei der ich mitgegangen wäre. Jedoch muss ich weiter und mich mit Astrid ihrer Nachbarin zuwenden, von der sie sich entfremdet hat, weil deren Sohn ein Tierquäler ist. Spannend. Wieder ein bewegendes Thema. Eltern, die erkennen müssen, dass ihre Nachkommen keineswegs nette, liebe Kinder sind, sondern Monster. Äh, sind sie das? Zwar gibt es ein Gespräch zwischen Astrid und ihrer Nachbarin über die Angelegenheit, die einzige Szene, die ich richtig gut finde, aber erschöpfend behandelt wird auch diese Sache nicht. Und dergleichen mehr. Nirgendwo gibt es einen Schwerpunkt. Jedes Thema ist gleichgewichtig. Der angerissenen Themenbereiche ist kein Ende. Und nirgendwo darf man als Leser verweilen und sich adäquat auseinandersetzen. Nehme ich zur Kenntnis. Haken. Nehme ich zur Kenntnis. Haken. Dann lese ich doch lieber Zeitung. Dort steht das nämlich alles drin. Mit Hintergrund. Und im Detail. Fazit: Eine lose Aneinanderreihung zeitgemäßer Problematiken. Mehr Aufzählung als Roman. Frage: wie kommt dieser Roman auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises? Vermutung: die Jury wird wohl keine Zeitungen abonniert haben und musste durch „Nebenan“ erst auf Stand gebracht werden. Kategorie: Roman. Verlag: Luchterhand, 2022 Auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022