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Cathy | Mlle Facettenreich

Posted on 19.10.2018

Ein dystopischer Jugendroman. Frankreich in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft, in welcher die Stimmung gleichgeschlechtlichen Paaren gegenüber kippt. In einem schleichenden Prozess werden gleichgeschlechtliche Paare immer mehr eingeschränkt, zu ihrem Schutz, wie es heißt. Es beginnt mit dem erneuten Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen und das gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder mehr adoptieren dürfen; führt dazu, dass eben diese Paare eine rosa Raute tragen sollen (angeblich damit im Falle von homophoben Übergriffen seitens der Polizei schneller und besser eingegriffen werden kann) und schon nach einigen Jahren müssen all die Paare in ein Getto umziehen, dürfen Paris nicht mehr ohne Genehmigung besuchen. Erzählt wird die Geschichte von der fast 13-jährigen Gabrielle; Adoptivtochter des verheirateten Paars Phil und George. Die Geschichte wechselt sich ab zwischen Erinnerungen und Gegenwartserzählungen, die klug miteinander verwoben sind. MEINE MEINUNG Papa George schleppte seinerseits nun immer ein Messer in der Tasche mit sich herum, trotz der spöttischen Bemerkungen von Phil, der das melodramatisch fand: „Was willst du mit deinem Säbel anfangen? Die Dummheit in Scheiben schneiden?“ „Mich wehren.“ „Gegen wen?“ „Spiel nicht den Idioten, du weißt nur zu gut …?“ Dieses Messer beruhigte mich nicht. Es erschien mir wie ein Zeichen von Schwäche. War George nicht stark genug, um sich ohne Waffe zu wehren? Und was bedeutete sich wehren – gegen wen wehren? S. 64 Christophe Léon schafft es in sehr kurzer Zeit die bedrückende Stimmung einzufangen und zu vermitteln, was sich innerhalb weniger Jahre verändert hat. Vieles passiert zwischen den Zeilen, also im Kopf des Lesers; Léon lässt Platz zur Interpretation und für eigene Überlegungen. Was ich grundsätzlich gut finde, mich bei einem Jugendbuch aber frage, ob es genügt um zu vermitteln, dass es eben keine Rolle spielt, welches Geschlecht man hat, solange man liebt und respektiert und dass ein Kind ein ebenso erfülltes Leben bei einem gleichgeschlechtlichen Paar, wie bei einem „klassischen“ Paar haben kann. „Diese Schwachköpfe“, schimpfte George, außer sich vor Zorn. „Was ist das, eine Familie? Ein Mann, der seine Frau schlägt, der sein Kind quält? Nein, ehrlich, das soll ein bewundernswertes Modell sein?“ „Was George sagen will, Gabrielle, ist, dass die Liebe weder ein Geschlecht hat noch eine Hautfarbe“, schaltete Phil sich etwas moralisierend ein. „Die Leute, die durch die Straßen ziehen, haben unrecht. Die Liebe kann man nicht bestimmen, auch nicht die sexuelle Vorliebe. George und ich, wir lieben uns, wir lieben dich und unsere Liebe ist genauso legitim wie die unserer Nachbarn, die unserer Freunde oder die von irgendjemand anderem. Wir müssen uns nicht dafür schämen, dass wir sind wie wir sind – niemals.“ S.40 Gabrielles Erzählungen von vergangenen Ereignissen zeigen eindrucksvoll, wie eine intakte Familie auszusehen hat: liebevoll, respektvoll, hilfsbereit. Dass es keinerlei Rolle spielt, ob die Eltern Mann und Frau sind oder Mann und Mann oder Frau und Frau. Dass es keinerlei Rolle spielt, ob das Kind adoptiert ist oder nicht. Dass Liebe und Familie rein gar nichts mit dem Geschlecht oder Blut zu tun hat. Gleichzeitig hat mich die Geschichte schockiert. Ich bin immer wieder entsetzt darüber, erinnert zu werden, dass die Geschichte sich wiederholen wird, immer wieder, wenn dem niemand etwas entgegensetzt. Ich empfinde Verständnislosigkeit darüber, dass Toleranz nicht selbstverständlich ist und es somit immer wieder zu so viel Hass und Unmenschlichkeit kommt. Der einleitende Auszug am Anfang dieses Artikels, lässt mich immer wieder fassungslos den Kopf schütteln, kaum Worte finden für die Engstirnigkeit mancher Menschen – und das obwohl ich weiß, dass der Notar nur eine fiktive Person ist. Das Wissen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die so denken … es ist mir unbegreiflich. FAZIT Die Idee hat viel Potential. Viele Möglichkeiten diese ungerechten und idiotischen Entwicklungen weiterzuspinnen und ins Extrem zu treiben. Leider hat das Buch gerade mal 116 Seiten und konnte so zwar die Idee vertiefen und auch in den wenigen Seiten schon Entsetzen und Verständnislosigkeit in mir auslösen, ich finde aber, es hätte ruhig noch ausführlicher sein dürfen. Ein Buch dass sich durchaus eignet, um über Homophobie, Sinnhaftigkeiten von Adoptionsverboten oder Ausgrenzung zu sprechen, über Liebe und Respekt, aber auch über Angst vor Unbekanntem und weniger konventionellen Lebensstilen. Um es als Jugendlicher ohne begleitende Diskussion zu lesen, halte ich es allerdings für etwas zu oberflächlich. Es setzt einiges an Toleranz und Reife voraus, um die Geschichte richtig zu interpretieren. Als Schullektüre mit unterstützenden und vertiefenden Gesprächen aber wohl durchaus geeignet. So jedenfalls mein Eindruck.

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