Cathy | Mlle Facettenreich
Der Blick auf eine 80er-Jahre Siedlung. Auf Erwachsene die überfordert sind mit ihrem Leben und dem was daraus geworden ist und auf Kinder, die überfordert sind mit den Erwachsenen. DER INHALT Wir werden reingeworfen in die Geschichte von Rita. Eine Mutter, die mehr Gefühle für ihre Nachbarin hegt, als für ihren Mann und ihre eigenen Kinder. Kalt und abgebrüht erträgt sie ihr Hausfrauendasein nur mit Mühe und würde viel lieber alle Zelte abbrechen und ausbrechen aus ihrem Leben, einfach wegfahren von dem was sie als Frau und Mutter verpflichtet ist zu lieben. Durchzogen von Neid auf andere (die Nachbarstochter, Männer, die Putzfrau mit dem BMW) die so viel freier sein können als sie, die es so viel besser haben als sie, ohne es auch nur zu wissen und allein das ist Grund genug wütend zu sein. Die Nachbarin Ulla hingegen kämpft mit ganz anderen Sorgen: ein prügelnder Ehemann macht ihr das Leben schwer und nur die Liebe zu ihren Töchtern lässt sie durchhalten. Es ist verwirrend. Wie kann man jemanden lieben, der einen schlägt? Aber es war doch nicht immer so. Wo ist die Liebe hin? Und wo sollte sie selbst hin, wenn sie ihn verließe? Sie kann doch nicht einfach … Die Kinder hingegen scheinen wesentlich abgeklärter und realistischer in ihrem Denken. Trotz fehlender Lebenserfahrung ist ihnen wesentlich klarer und deutlicher was wichtig ist und worauf es im Leben ankommt, all das, was den Eltern beim Erwachsenwerden abhanden gekommen zu sein scheint. Cotsch, die niemals wie ihre Mutter werden will, die sich niemals von einem Mann schlagen lassen würde, geschweige denn sagen lassen würde, was sie zu tun oder lassen oder denken hat. Oder Lexchen, die mit ihrem jungen Alter die Boshaftigkeit der Menschen nicht verstehen kann und versucht mit all ihrer Liebe und positiven Einstellung die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Und Johannes, der irgendwie verliebt ist und dramatisch, dem ganz klar ist, dass das was seine Eltern da machen (in getrennten Betten schlafen, nicht miteinander reden) ganz bestimmt nichts mehr mit Liebe zu tun hat und der stattdessen lieber den Plan fasst einmal richtig zu lieben und sich dann umzubringen, damit er niemals so werden kann. MEINE MEINUNG Die Perspektiven wechseln zwischen Erwachsenen und Kindern, die mit ihrer eigenen Wahrnehung die Geschichte fortführen. Das führt anfangs zu Irritationen, was in meinen Augen aber die Stärke dieses Buches ist. Zunächst haben die beiden Nachbarinnen Rita und Ulla, sowie die Kinder Cotsch, Lexchen und Joschi am häufgsten das Wort. Später kommen weitere Personen dazu. Weitere Kinder, die Ehemänner, … Jeder verfolgt seinen eigenen Idealismus, vor allem die Erwachsenen vergleichen sich sehr mit ihrem früheren Ich und fragen sich, was daraus geworden ist, wo ihr idealistische Einstellung abhanden gekommen ist. Die Kinder sehen ihre Eltern eher als schlechte Vorbilder und Warnungen für das was sie niemals werden wollen. Jeder von ihnen stößt an seine eigenen Grenzen. Ein schreckliches Eregnis sorgt dafür, dass jeder von ihnen aus seiner Blase ausbricht, den eigentlich angestrebten Weg verlässt oder aber endlich die Ängste und Sorgen über Bord wirft, um zu handeln. Die einen kühner, die anderen weniger kühn. MEIN FAZIT Ein unglaublich spannender Blick auf Familienidylle in den 80ern. Auf Menschen und ihre Vorstellungen vom Leben, mit einem packenden Wendepunkt, der die Siedlung und die Menschen in ihnen umkrempelt. Mich hat das Buch von Alexa Hennig von Lange sehr begeistert, wenn es inhaltlich auch keine leichte Lektüre ist. Die Geschichte war sehr einnehmend, die Entwicklung schockierend und die Handlungen der Erwachsenen haben mich fassungslos gemacht. Äußerst lesenswert und ein tolles Wiederkommen von Alexa Hennig von Lange zurück in der Gegenwartsliteratur. Mehr als gelungen!