Palaisfluxx
Rezension von Jenni Zylka Worum geht es? Die Liebe zum Rock’n’Roll kann man niemandem verdenken. Und sie stirbt nie. Sie kann sogar ganz schön alt werden: Seit 60 Jahren, und damit seit Ewigkeiten, gibt es die Rolling Stones, weiße, britische Epigonen des aus schwarzem Rhythm’n’Blues hervorgegangenen Musikstils, der einst für Jugend und Rebellion stand und inzwischen so ziemlich das Gegenteil repräsentiert. In ihrer Rolling-Stones-Biografie „The Stone Age“ arbeitet sich die britische Musikjournalistin Lesley-Ann Jones anekdotisch durch die männliche wie weibliche Faszination für die (zu Anfang) fünf Briten. Ihre Quellen sind die eigene, durch einige Interviews mit Bandmitgliedern entstandene klassische Presse-Star-Symbiose, dazu zitiert sie Weggefährt:innen, angebliche Freund:innen, Mitarbeiter:innen und Zeug:innen und viel, viel der in Großbritannien allgegenwärtigen Yellow Press. In zwanzig Kapiteln, von denen einige aktuellen und ehemaligen Partnerinnen der Musiker gewidmet sind und sich andere mit dem legendären Drogenkonsum der Band beschäftigen, strickt sie dabei einen unangenehm grellen Rock’n’Roll-Pullunder aus Fakten, Gerüchten, wenig Musik – und einem nur notdürftig hinter einer angeblich feministischen Agenda versteckten, extremen Konservativismus. Warum sollte mich das interessieren? Weil es Rock’n’Roll ist, Baby. Und weil die Anrede „Baby“ alle Geschlechter miteinbezieht, mit anderen Worten: Auch bei den Rolling Stones wäre es eigentlich höchste Zeit für eine feministische Sichtweise gewesen. Wie geht die Autorin vor? Die Hochzeit von Mick Jaggers Ex-Freundin Jerry Hall mit dem Medienmogul Rupert Murdoch bildet den Auftakt zu Jones‘ Ritt durch mediale Ondits, Besuche bei Stones-Großveranstaltungen und private Dönekens. „Sie schenkte dem Stone vier Kinder und zweiundzwanzig Jahre ihres Lebens“, leitet Jones im dramatischen 50er-Jahre-Groschenroman-Ton (bestimmt nicht angenehme Übersetzungsarbeit: Conny Lösch) das Verhältnis der – nach einer Trennung angeblich auf Rache sinnenden – Hall zu Jagger ein. Dass Frauen Männern „Kinder schenken“ oder auch Jahre, ist für Jones Tatsache. Genauso wie der „ungezügelt lüsterne Lebensstil“ des Musikers, dem sie bescheinigt, „Opfer seiner eigenen Unersättlichkeit“ zu sein, der „allen nachstellte, die er nicht haben konnte“. Warum ist das ärgerlich? Die alte, falsche und ärgerliche Mär vom unersättlichen männlichen Raubtier, dem auf diese Weise eine – im Gegensatz zur passiven, romantischen Frau – aktive, aggressive Sexualität zugestanden wird, wabert fast durch die gesamte „The Stone Age“-Erzählung: „Kaum war seine Gier befriedigt“, schreibt sie im Kapitel „Anita“ (Pallenberg) über Jagger, „begehrte er sie nicht mehr und ging auf die Pirsch nach einer anderen. Mick war nicht der Mann, mit dem man sich ein gemeinsames Leben aufbaut. Mick war nie einer zum Heiraten gewesen …“. Denn selbstverständlich ist die monogame, vom Staat autorisierte Zweierbeziehung das Einzige, was Frauen wollen, darum, so Jones, „warfen sie sich ihm trotzdem so vorhersehbar wie Herbstlaub vor die Füße“. Fast noch ärgerlicher als Jones‘ immer wieder mit Solidaritätsbekundungen für die in ihren Augen bemitleidenswerten Frauen betriebenes Victimizing ist ihr Bericht über Bill Wyman als pädophilen Straftäter: Der ehemalige Stones-Bassist hatte Ende der 80er-Jahre eine sexuelle Beziehung mit einem Kind – Mandy Smith war 13, als sie den damals 47-Jährigen kennenlernte, sie begannen ein Verhältnis und heirateten fünf Jahre später. Wyman, der für seine Taten nie rechtlich belangt wurde, hatte immer behauptet, nicht gewusst zu haben, wie alt seine Freundin zu Anfang war. Jones erzählt im Kapitel „Mandy“ ausführlich von ihren Vermutungen, Wyman habe damals absichtlich seine Beziehung vertuscht und dabei – unter anderem – auch eine Freundesclique benutzt, zu der sie gehörte. Sie stellt Vergleiche zu #metoo an, entschuldigt sich für ihr damaliges Schweigen – und beschreibt Wymans Ex-Partnerin (die Ehe hielt nicht lang) doch als „wunderschöne“ Verführerin, der ein Mann schlichtweg nicht widerstehen kann: „Auch wenn das keine Entschuldigung ist: Man sah, was ihn antrieb. Er konnte nicht anders. Sie hatte nichts ‚Dreizehnjähriges‘ an sich.“ Später heißt es noch, dass Mandy „um ihre Macht wusste“ – ambivalenter und ekeliger wurde sexuelle Gewalt gegen Frauen selten von Autorinnen relativiert und entschuldigt. Bekommt die Autorin die Kurve? Die bildreiche, teilweise sehr gekonnte Sprache der versierten, langjährigen Musikjournalistin, Moderatorin und Biografin Jones, ihre Versuche, durch ein langes Kapitel über die Wurzeln des Rock’n’Roll den Urvätern und -müttern der schwarzen Musik gerecht zu werden, und ihre vielen pop-philosophischen, musikalischen Überlegungen und wahren Beobachtungen zur Bedeutung von Rockmusik können den Beigeschmack des eigenartig eingeschnappt klingenden Buches kaum mindern: Vielleicht waren und sind einige der Stones gefühllose Macho-Gockel, bei denen Frauen ohnehin nur „under my thumb“ zu finden sind. Und Bill Wymans aufgrund fehlender Anklagen straflose Sexualverbrechen sind ein Skandal, der die doppelbödige Behandlung sogenannter „Rockstars“ verdeutlicht. Doch dass der Bodensatz von Jones‘ boulevardesker Kritik nichts mit Feminismus oder weiblicher Selbstermächtigung zu tun hat, sondern im Gegenteil misogynste Klischees zementiert, lässt sie ins Leere laufen. Wie schade. Denn lange wird man die Stones nicht mehr kritisieren können.