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miss_pageturner

Posted on 27.11.2022

Achtung: Ich kann diese Rezension leider nicht schreiben, ohne einen der ersten Plottwist des Romans bezüglich Protagonist Ben zu verraten. Wenn ihr euch also überraschen lassen wollt, lest bitte nur das Fazit. Von Christina Henry habe ich ja nun schon mehrere Bücher gelesen. Daher wanderte auch ihr neustes Werk zugleich auf meine Leseliste Zurück in Sleepy Hollow The Legend of Sleepy Hollow von Washington Irving 1820 veröffentlicht, gilt als eine der ersten Kurzgeschichten der amerikanischen Literatur. Ein echter Klassiker also, den Christina Henry hier adaptiert, wobei das vielleicht nicht ganz das richtige Wort ist. Vielmehr stellt Christina Henrys Horseman eine Ergänzung zu Irvings Erzählung dar. So lässt sie alle Ereignisse aus der Originalerzählung nahezu unverändert stehen und knüpft ihre Geschichte 30 Jahre später an. Tatsächlich fühlt sich diese Verbindung relativ nahtlos und passend an, da die Autorin immer wieder ihre Figuren die Geschehnisse aus Irvings Erzählung rekapitulieren lässt, Verbindungen herstellt Dazu kommt eine gelungene und atmosphärische Beschreibung des verschlafenen, doch auch mythischen Sleepy Hollow, in dem Abseits vom restlichen Amerika des 19. Jahrhunderts die Uhren anders zu laufen scheinen und in dem Aberglaube und das Zusammengehörigkeitsgefühl als Dorfgemeinschaft noch andere Dimensionen hat, als im restlichen Land. Den Roman zu lesen fühlt sich wie ein zurückkommen in das geheimnisvolle Örtchen an und Christian Henry gelingt es hervorragend, diese aus der Zeit gefallene Gemeinschaft zu schildern, ihre Eigenarten und Marotten dem*die Leser*in näherzubringen und die dunklen Wälder bedrohlich und geheimnisvoll erscheinen zu lassen.   Eine Coming of Age Geschichte Und an diesem verwunschenen Ort aufgewachsen ist Protagonist Ben, mit dem uns Christina Henry gleich im zweiten Kapitel ein Plottwist beschert, denn Ben ist eigentlich Bente und biologisch als Mädchen zur Welt gekommen. Ich gebe gerne zu, dass mich die Tutorin hier echt erwischt hat und dieser Twist mich überrascht hat, so beginnt ein Buch schon mal vielversprechend. Es zeigt sich auch ziemlich schnell, dass Bens Kampf um Anerkennung als Junge , aber auch seine eigene innere Suche nach Identität einen großen Raum in diesem Buch einnehmen. Es gibt zwar auch, ein paar schaurige Stellen und Magie, die am Werke ist, doch in vielerlei Hinsicht ist Henrys Die Legende von Sleepy Hollow vor allem eine Coming of Age Geschichte. Das kann enttäuschen, wenn man sich auf ein richtig grusliges Horrorbuch eingestellt hat, ist aber objektiv betrachtet nicht schlecht gemacht und liest sich durchaus ebenfalls spannend. So kommt es auch, dass der sagenumwobene Reiter deutlich weniger Präsenz hat, als man annehmen würde, wenngleich er gerade zum Ende trotzdem eine zentrale Rolle erfüllt. Das ist jetzt alles nicht, was ich als besonders gut, oder besonders schlecht werte, ich erzähle es euch einfach, damit ihr wisst, was euch erwartet und nicht allein von falschen Erwartungen her enttäuscht seit. Denn insgesamt hat mir die Handlung doch recht gut gefallen, auch wenn es in eine andere Richtung ging, als gedacht. Die Vorhersehbarkeit, was die Mysterien um die Identitäten von Reiter und Monster im Wald angeht, und ein ziemlich schwacher Antagonist, der seinen eigenen Worten nach einfach böse Dinge tut, weile er eben böse ist, machen das Buch zwar zu keinem Highlight, konnten im Großen und Ganzen aber dennoch unterhalten.   Was es heißt ein Mann/Junge zu sein Leider gab es auch etwas, was mir gar nicht zugesagt hat, und das ist, wie in diesem Buch Rollenbilder idealisiert werden. Denn während die Autorin zwar mit ihrem Transgender Protagonist eine zeitgemäße Auseinandersetzung anstrebt, zementiert sie im restlichen Buch Klischeerollenbilder. Und dabei rede ich nicht von den Reaktionen in Bens Umfeld, diese sind in einem amerikanischen Dorf des 19. Jh. ja kaum anders zu erwarten, vielmehr waren es Bens eigene Gedankengänge, die mir sauer aufstießen. Für Ben heißt ein Junge zu sein, stark, mutig und furchtlos (selbst bei offensichtlicher Gefahr) zu sein, auf keinen Fall je zu weinen und Probleme mit den Fäusten zu lösen. Dieses ermüdendes Rollenbild des starken Mannes wird kommentarlos idealisiert. Das Weibliche hingegen wird mit schwach, emotional, albern, oberflächlich und schwätzerisch etc. verbunden. Bens Gedankengänge drehen sich ständig darum, nur ja nicht feige wie ein Mädchen zu sein, der Großvater, der das Rollenbild des starken, mit den Fäusten denkenden Mannes erfüllt, wird bis zum Gehtnichtmehr idealisiert. Das alles hätte ich mit Zähneknirschen Ben als 14-jährigen noch durchgehen lassen, wenn nach dem Zeitsprung mehr Einsicht gekommen wäre, doch auch als Erwachsener hält Ben an diesen Rollenbildern fest, was ich sehr schade fand. Wenn man sich die Freiheit nimmt, einen Transgender Charakter ins 19. Jh. zu setzten, hätte man es ja wenigstens komplett durchziehen können. Fazit: Das Buch ist gerade in der Beschreibung des Dorfes Sleepy Hollow und des Waldes sehr atmosphärisch, liest sich flott durch und kann unterhalten, solange man sich auf eine Coming of Age Geschichte mit Gruselelementen statt eines reinen Horrorbuches einstellen kann. Punktabzug gibt es aber für sehr ermüdende Rollenklischees in Bezug auf idealisierte Männlichkeit.

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