Yvonne Franke
Für den yourbook Community Newsletter hatte ich zwei Pop und Rock Geschichten gelesen, die sich ergänzen und befeuern sollten. Aber, Überraschung, es stellte sich heraus, dass beide eine Bühne für sich ganz allein beanspruchen. Eindeutig. Ich beginne also mit dem Buch, das ich als zweites gelesen habe, wahrscheinlich weil ich zunächst eine gewisse Gegenwehr spürte, es mir sperrig vorstellte. Dabei mag ich Judith Holofernes seit ihrer Zeit als Frontfrau der Band "Wir sind Helden" gerade für ihre seltsam schönen Texte, diese hirnverknotende, neu verkabelnde Poesie. Aber 400 Seiten "Ich hätte das alles anders gewollt"? Da war ich mir nicht sicher, wie weit das tragen würde. Jetzt, nachdem ich sie in einer Nacht und einem Badewannen-Morgen durchstaunt und sogar nochmal drüber geschlafen habe, muss ich sagen: mich trägt es immer noch. Die wilde bunte kraftvolle Anfangszeit ihrer tollkühnen Heldenband, die sich über Radio und Musikfernsehen bereits in die Herzen der zarten Aufmüpfigen gespielt hatte, bevor es einen Plattenvertrag gab, ist bereits in verzweifeltes Durchhalten übergegangen, als Holofernes Erzählung einsetzt. Zuallererst ist es der Körper der Frontfrau, der sagt "so kannst du nicht weitermachen". Ihr rechtes Bein versagt ihr den Dienst. Nach 12 Jahren herzhüpfend glücklich machenden Schreibens, Alben Produzierens und eines zuletzt, mit zwei Kindern, untragbaren Tourlebens, will ihr Bein an dieser Stelle nicht weitergehen. Sie lässt sich einen Barhocker auf die Bühne stellen und singt weiter. Aber innerlich formieren sich die Fragen: Was mache ich hier eigentlich? Wie sehr will ich das? Geht Kunst nicht auch mit weniger Schmerz? Um zu verstehen, was es bedeutet, auf dem Zenith einer Musik-Karriere auszusteigen, für jemanden, die sich schon mit 12 Jahren fest vorgenommen hatte Rockstar zu werden, eine Gang zu haben, die sich wie auf verqualmten Schwarzweiß-Fotos ins Gedächtnis gräbt, legendär, müssen wir eine Weile im Tourbus mitfahren, ein paar Songs mitschreiben. Und dabei erfahren wir Details aus dem Rockstarleben, an die sonst nur mit harten Groupie-Ambitionen heran zu kommen wäre. Wer jemals Musik-Fan war, kann sich hier einige Schnappschüsse ins innere Fotoalbum kleben. Und dann: Stille. Neuanfang. Mal sehen, was noch geht, wenn die Gang nicht dabei ist. Vielleicht auch erstmal kurz nichts. Dann ein zartes Summen, dann eine schüchtern anklopfende Gitarre, dann ein Song. Und, vielleicht etwas zu schnell, wieder ein großes Platten-Label, das will, dass alles vorgestern fertig ist. Das die Zartheit der neuen Songs verkennt. Judith Holofernes erzählt ein Rockstarleben, kreisend um den Moment, in dem das Schillern sich in Dröhnen verwandelt. Ein Moment an dem schon viele Legenden zerbrochen sind, meist nachdem sie eine Weile versucht haben, ihre Erschöpfungssymptome mit allen möglichen Aufputschmitteln zu übertünchen. Holofernes, die nicht einmal Alkohol trinkt, durchlebt all das ungeschützt. Aber sie verschafft sich, ziemlich zerbeult und verunsichert, eine Chance auf ein neues Künstlerinnen-Leben, das viele unterschiedliche Früchte trägt. Zum Beispiel ein Buch mit dem Titel "Die Träume anderer Leute". Eine Frage hallt in mir nach und wird es hoffentlich noch lange tun. " Gibt es Peinlicheres als ein Privileg, das man nicht in Freiheit verwandelt?"