Caillean
Ein Bergmann jammert nicht! Wie oft habe ich beim Lesen dieses Romans gedacht: „Oh Gott, wie beschwerlich!“ Heutzutage können wir uns kaum noch vorstellen wie anstrengend der Arbeitsalltag früherer Generationen war. Wie bescheiden man früher gelebt hat. Und wie zufrieden man trotzdem mit der Situation war! Ein Bergmann jammert nicht - daran erinnern die Protagonisten dieses Romans ihre Kinder und Enkel des öfteren. Denn es ist ein hartes Leben - aber sie würden es um keinen Preis der Welt missen wollen. Kati Naumann nimmt uns in diesem Roman mit unter Tage - weit hinunter, bis 1.800 m unter die Erdoberfläche. Sie zeigt uns eine verborgene Welt, die kaum einer von uns je wirklich erfahren hat. Gleichzeitig hält sie mit diesem Roman die Geschichte des Bergbaus im Erzgebirge und der Region rund um Aue und Bad Schlema fest. Und erzählt außerdem eine spannende und intensive Familiengeschichte. Das sind gleich drei Dinge auf einmal - und sie verbindet das alles so geschickt, dass man beim Zuklappen des Romans nach dem Lesen denkt: mehr geht nicht. Die Handlung ist in zwei Erzählsträngen aufgebaut. Einerseits begleiten wir im Jahr 2019 Luisa Steiner, die in einem Besucherbergwerk arbeitet. Luisa besucht regelmäßig ihre Großtante Irma im Altenheim. Als die Rede auf Irmas Bruder Rudolf kommt, der in den 1950er Jahren spurlos verschwand, will sie mehr darüber herausfinden, damit ihre geliebte Großtante endlich Frieden finden kann. Zwischen diesen Kapiteln wird chronologisch die Geschichte von Luisas und Irmas Familie über die letzten 100 Jahre erzählt - von der Zeit vor dem ersten Weltkrieg bis nach der Wende und dem Ende des Bergbaus in der Region. Während Luisa und Irma versuchen, dem Schicksal von Rudolf auf die Spur zu kommen, lernen die Leser die Familie Steiner genau kennen. Sie begleiten ihren Alltag und ihre Traditionen, aber auch den Wandel, dem die Region um Schlema immer wieder unterworfen ist. Von der Bergbausiedlung zum mondänen Kurbad, von den Anfängen der Wismut AG nach dem zweiten Weltkrieg bis zur Wendezeit. Und immer müssen sich die Mitglieder der Familie Steiner den Umständen anpassen, ihre Werte hinterfragen und sich zum Teil auch einfach durchboxen. Aber: ein Bergmann jammert nicht und deshalb ist der Roman nicht nur ein Zeugnis der mitunter schwierigen Lebensbedingungen, sondern vor allem auch die Geschichte einer Familie, in der man immer zusammenhält - egal was kommt. Ich habe mit den Steiners gelitten und gefeiert, getrauert und geliebt. Ich habe sie lieb gewonnen, die Robusten wie die Sensiblen, die Brummigen und die Plappermäulchen. Ich bin unheimlich froh, diese Geschichte und damit auch einen Teil meiner Heimat - ich bin selbst am Fuß des Erzgebirges aufgewachsen - (neu) entdeckt zu haben. Jedem, der sich für deutsche Geschichte interessiert, kann ich diesen atmosphärischen Roman nur wärmstens ans Herz legen!