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Palaisfluxx

Posted on 1.11.2022

Worum geht es? Es sind die Jahre, in denen man an die Macht und die Kraft eines Eingriffs am Hirn glaubt, der Lobotomie. Straffälligen, auffälligen Jugendlichen, aber auch besonders Frauen sollte so „geholfen“ werden, ihre „Störung“ loszuwerden. „Da ist etwas in Ihnen drin“, sagt der Professor im Roman, „und ich werde es zum Schlafen bringen. Es wird Sie nicht mehr belästigen.“ Das Buch erzählt von Merets Leben zwischen elterlichem Zuhause und Schwesternheim, wo sie sich in ihre Zimmergenossin Sarah verliebt – und den Folgen, als der Eingriff misslingt. Was kann das Buch? Nicht viel, außer schön zu erzählen. Das klingt nach wenig und womöglich fies, so ist es aber nicht gemeint. Nein, es reicht schlicht aus, dass die Geschichte, das Erleben Merets in einem ruhigen, schönen Ton erzählt wird. Dass wir eintauchen in das Erleben und die Gefühlswelt einer jungen Frau, die sich findet. Die sich zunächst einfügt und es nach und nach wagt, einen Zweifel groß werden zu lassen, der mehr infrage stellt als nur den Eingriff. Was hat das mit mir zu tun? Ebenfalls nicht viel. Nicht mein Leben, nicht meine Zeit, nicht mein Kosmos. Und doch hat mich das Buch auf eine schöne und auf eine intensive Art berührt. Der Roman bringt nochmal die über viele Jahre und bis in die 1970er-Jahre auch in Deutschland gängige Praxis des Eingriffs am Hirn ins Gedächtnis. Den Umstand, dass es gerade Frauen waren, die so – meist durch ihre Familie bestimmt – gefügig, angepasst und still gemacht werden sollten. Es kitzelt den Ärger wach, über die seit Jahrhunderten andauernden systematischen Versuche, Frauen ruhig und schweigsam zu kriegen. Schöner aber ist die Liebesgeschichte, das stille Begehren, das Meret Sarah gegenüber empfindet. Diese erste Liebe, die so wunderbar die Nähe einfängt und abbildet, die eine Beziehung zwischen Frauen ausmacht. Das hat mich sehr an mein eigenes, verkapseltes Verliebtsein in meine Freundin erinnert, das so viel stiller war als einem Mann gegenüber, weil die Wahrscheinlichkeit der Erwiderung so viel geringer schien. Das ist gut und zärtlich erzählt und mit einem Selbstverständnis, das wohltuend ist. In der Besonderheit des Themas und der fein erzählten Liebe ist „Ein simpler Eingriff“ eine der schönsten Neuerscheinungen dieser ersten Jahreshälfte. Eine Rezension von Silke Burmester

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