letterrausch
„Die Meerjungfrau von Black Conch“ hat in Großbritannien 2021 den Costa Award abgeräumt und war bei einer Handvoll weiteren Preisen bis auf die Shortlist vorgedrungen. Nun ist der neueste Roman von Monique Roffey auch auf deutsch erschienen. Auf gut zweihundert Seiten legt Roffey einen Roman irgendwo zwischen Märchen und magischem Realismus, Liebesroman und politischem Statement vor, der in der deutschen Übersetzung seinen Lesern einiges abverlangt. Monique Roffey wurde 1965 auf Trinidad geboren, heute lebt sie jedoch in Großbritannien. Auch den größten Teil ihrer Bildung hat sie hier genossen. Sie hat einen Abschluss in kreativem Schreiben und unterrichtet dieses Fach auch seit vielen Jahren. In „Die Meerjungfrau von Black Conch“ begibt sie sich nun auf die fiktive Karibikinsel Black Conch, vor deren Küste der Fischer David mit einer Meerjungfrau anbandelt, die gern aus den Tiefen des Meeres auftaucht, um seinem Spiel auf der Gitarre zu lauschen. Von Anfang an lässt diese Meerjungfrau sämtliche Disney-Niedlichkeiten vermissen. David schätzt ihr Gewicht auf mehrere hundert Pfund, was hauptsächlich an ihrem gigantischen Fischschwanz liegt. Ihre Zähne sind spitz, ihre Augen schimmern metallisch. Sie ist ein fremdes Wesen – trotzdem finden David und die Meerfrau eine gemeinsame Basis, nämlich die Musik. Die Idylle wird jäh zerstört, als aufgrund des jährlichen Angelwettbewerbs zwei Amerikaner mit ihrem Boot just diese Meerfrau aus den Wellen ziehen. In einem mehrstündigen, zähen Kampf, der sämtliche Ästhetik und Respekt der Jagd vermissen lässt, wird Aycayia – so heißt die Mehrfrau, wie wir später erfahren – aus dem Meer gezogen und auf der Mole von Black Conch wie ein Wal am Schwanz aufgehängt. Doch das kann David nicht mit ansehen und so schneidet er sie im Dunkel der Nacht ab, mit dem Hintergedanken, sie zurück ins Meer zu bringen. Doch dazu soll es erstmal nicht kommen … Zwischen den beiden entwickeln sich zarte Liebesbande. Oder eher: David verfällt der Meerfrau ziemlich unverzüglich, während Aycayia zunächst mit ihrer Verwandlung beschäftigt ist. Denn einmal in Davids Badewanne verfrachtet, wird aus der Meerfrau mit Fischschwanz, Schuppen und Flossen in einer unansehnlichen und stinkenden Metamorphose wieder eine Frau, die das Frausein erst wieder lernen muss. Und auch die Liebe lernt sie zum ersten Mal kennen. Der Roman lässt sich als Märchen lesen, und das nicht nur aufgrund der titelgebenden Meerjungfrau. Auch viele Motive und Charaktere muten märchenhaft an, so zum Beispiel der böse Fluch, der Aycayia dereinst ins Meer verbannt hat oder auch Priscilla, die keine lebensechte, ausgearbeitete Figur ist, sondern nur als handlungsanstoßende Hexe durch den Roman geistert. Auf dieser Märchenebene erinnert der Roman durchaus auch an Peter S. Beagles „Das letzte Einhorn“, in dem es ja auch um die Frauwerdung eines mythischen Wesens ging. Beiden Figuren, dem Einhorn wie der Meerjungfrau, liegt eine inhärente Tragik zugrunde, indem sie aus ihrem angestammten Habitat herausgerissen und in ein völlig neues Leben geworfen werden. Dieses Leben hält zwar Beziehungen, Liebe und Freundschaft für sie bereit, doch der Nachhall der früheren Existenz verschwindet nie ganz, er lockt immer wieder. Wer tiefer in den Text einsteigen möchte, der wird sehr bald bemerken, dass Roffey immer wieder verschiedene Machtverhältnisse thematisiert. Natürlich geht es wiederholt um das Verhältnis von Mann und Frau, aber auch um das Verhältnis von Jäger und Wild, von Mensch und Natur, von schwarzer und weißer Bevölkerung, ehemaligen Sklaven und ehemaligen Sklavenhaltern. Dabei wird es durchaus brutal. Schon die – lange – Szene, in der die Amerikaner die Meerjungfrau aus dem Meer ziehen, ist brutal. Erwächst diese Brutalität nur daraus, dass wir wissen, dass eine Frau am Haken hängt? Würde sich der Text weniger brutal anfühlen, ginge es „nur“ um einen Fisch? Und was sagt das über uns aus? Dürfen wir das Meer/die Natur derart aus dem Gleichgewicht bringen? Wer gibt uns das Recht? Im Roman sind es die plakativ kapitalistischen Amerikaner, die mit ihrer übergriffigen Ideologie als „Bösewichte“ charakterisiert werden, während die näher an der Natur lebenden Inselbewohner im Angesicht der entehrten und kopfüber hängenden Meerfrau Scham und Unbehagen empfinden. Hier macht es sich Roffey ein wenig einfach – doch andererseites, wir sind schließlich in einem Märchen. Da ist solcherart Blockbildung durchaus legitim. Ein Wort noch zur Sprache: Die Übersetzerin Gesine Schröder ist um ihren Job sicherlich nicht zu beneiden gewesen. Roffeys Text lässt drei Erzähler zu Wort kommen – eine Erzählstimme, die Tagebücher von David und die Meerfrau selbst. Roffey lässt ihren Erzähler und David in einem karibisch gefärbten Englisch sprechen, das Gesine Schröder irgendwie ins Deutsche überführen musste. Die Sprache wie eine Art Singsang klingen zu lassen, gelingt ihr gut. Trotzdem ist das, was wir hier lesen, natürlich eine Kunstsprache, die mit keinem Dialekt, keiner Regionalität im deutschsprachigen Raum korrespondiert und dadurch eben künstlich und ausgedacht wirkt. Das baut eine Distanz zum Text auf, die so wahrscheinlich nicht gewollt oder gewünscht ist, der sich diese Leserin allerdings nicht entziehen konnte. Für mich schmälerte das den Genuss auf sprachlicher Ebene, jedoch nicht auf Handlungs- und Motivebene.