wandanoir
Kurzmeinung: Leseempfehlung! Türkei heute. Nach dem missglückten Regierungssturz 2016 in der Türkei, wird es ungemütlich für die Bevölkerung. Die paranoide Regierung wittert überall Verrat. Sie greift nicht nur hart durch, sondern ermutigt ihre Staatsbürger zur gegenseitigen Bespitzelung; Gesetze werden verändert, so dass es möglich ist, nur aufgrund einer Denunziation oder eines vagen Verdachts, Leute zu verhaften, stundenlang zu verhören, zu schlagen, zu demütigen. Es gibt quasi keinen Rechtsstaat mehr und es herrscht ein Klima allseitigen Misstrauens. In knappen Worten und Szenen, die eindrücklich sind und unter die Haut gehen, meisterhaft mit literarischem Minimalismus spielend, zeigt Anna Yeliz Schenke auf, wie die politische angespannte Situation sich selbst auf die engsten Beziehungen auswirken. Ein Riss geht durch die Gesellschaft. Es gibt die einen, die nur in Ruhe gelassen werden wollen und so oder so jederzeit regierungstreu sind und es gibt diejenigen, die jedes Wort auf die Goldwaage legen müssen. Niemand sagt mehr ehrlich seine Meinung, längst ist der türkische Staatspräsident ein Diktator geworden. Wer ins Visier des Staatsapparats gerät oder nicht ins Bild passt, wird mundtot gemacht. Das kemalistische Prinzip von der Trennung von Staat und Glauben ist längst ausgehebelt. Dies bedeutet, dass die privatesten Beziehungen nicht mehr privat sind, man hat sich nach der herrschenden Moralvorstellung zu richten oder man ist der Willkür ausgeliefert, dem Staat, dem Mob, den Religionsführern. Bewundernswert wie Anna Yeliz Schenke in unnachahmlich minimalistischer Manier und den kurzen Auftritten ihrer Figuren, Atmosphäre schafft, Information transportiert, die Diktatur an den Pranger stellt. Fazit: Höchst bemerkenswertes Debüt, das zu Recht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022 steht. Kategorie: Anspruchsvolle Literatur Verlag: S. Fischer, 2022 Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022