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Bittersüß Ich weiß nicht, woran es liegt, aber bei manchen Büchern weiß man schon vorher, dass sie genau das Richtige sein werden. Für die Stimmung, für genau den Augenblick, für die Jahreszeit. So war es auch bei Monique Roffeys Meerjungfrauenbuch. So schön, so ungewöhnlich, so leicht, so freudig, so poetisch, dennoch traurig: süß und bitter zugleich. Als hätte Frau Roffey daneben gesessen und den Protagonisten über die Schulter geschaut und jeden Moment genauso eingefangen, wie er passiert ist. Ich konnte kaum glauben, dass es nur eine ausgedachte Geschichte ist, so glaubhaft und realistisch kommt alles rüber. Fein aufgehangen an einem dicken roten Faden, wie man es leider nur zu selten findet. Ich wollte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen, habe mit David und Aycayia auf ein gutes Ende gehofft und gebangt, als die Grausamkeiten am schlimmsten waren. Zum Inhalt: David, der junge karibische Fischer, fährt oft mit seiner Piroge, der Simplicity, aufs Meer hinaus, zum Fischfang und zum Gitarre spielen. Die Musik lockt eine Meerfrau an, Aycayia. Sie wurde einst von den eifersüchtigen Frauen ihres Taino-Stammes verflucht, weil sie so wunderschön war und die Frauen Angst um ihre Männer hatten. Ihre vielen Schwestern kamen um und konnten ihr nicht mehr helfen. So musste sie jahrhundertelang als Halbe-Halbe ihr Dasein im Meer fristen. Als David die Wasserfrau bemerkt, „zitterte ihm der Magen vor Begehren und Angst und Erstaunen.“ (Seite 10) Etwa vierzig Jahre später schreibt David diese Vorfälle in seinem Tagebuch auf, was eben damals, 1976, alles passierte. Diese Tagebucheinträge durchziehen das Buch ebenso, wie Aycayias „Gesänge“, die in Versen ihre Empfindungen mit uns teilt. Aber es kommen noch viele Protagonisten zu Wort: Die Bösen in Form von geldgeilen Jägern, die nur an ihre Trophäe denken und für die Empathie ein absolutes Fremdwort ist. David allerdings hat mehr Freunde, als er dachte, und die verfügen über jede Menge Zivilcourage. Flora und Fauna auf dieser Insel und im Meer werden so eigenwillig beschrieben, dass nicht nur die Geräusche der Brüllaffen hinter den riesigen Feigenbäumen aus dem Urwald förmlich aus den Seiten gellen. Und die Substanz der Gebäude gerät durch Rosamund in Gefahr, „den schlimmsten Sturm, der im zwanzigsten Jahrhundert in den Kleinen Antillen gewütet hatte […]“ (Seite 231) Monique Roffey hat eine ganz eigene Sprache entwickelt, „um eine vor Jahrhunderten Vertriebene in der Karibik in unsere moderne Welt zu integrieren.“ (Aus dem Nachwort der Autorin, Seite 235) Auch die Übersetzerin Gesine Schröder hat ganze Arbeit geleistet, um diesen Stil ins Deutsche zu transformieren. Und das ist so fantastisch gelungen, dass mir dieses moderne Märchen noch ganz lange im Kopf bleiben wird. Allerdings: Das Cover der Originalausgabe fand ich treffender als dieses bunte. Fazit: Die Flucht aus unserem krisengeschüttelten Alltag gelingt gerade mit diesem Buch besonders gut, weil es spannendes Kopfkino der besonderen Art entstehen lässt, wie es bei mir leider nur ganz selten beim Lesen so zustande kommt. Vergebe fünf voll verdiente Sterne.