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gwyn

Posted on 24.10.2022

Eine junge französische Zeichnerin fährt nach Japan, um sich von neuen Landschaften und der Kultur inspirieren zu lassen. Sie hat in einer Künstlerresidenz ein Zimmer gebucht, ist beim Empfang sogleich begeistert vom Meeresblick. Die Enttäuschung folgt postwendend: Die Verwaltungszimmer haben Meeresblick, die Künstler schauen auf eine Felswand: «Der Architekt wollte das so. Damit Sie während ihres Aufenthalts nicht abgelenkt werden.» Die Bedienung der vollautomatischen Toilette überfordert die Illustratorin vollends. Eine Menge kultureller Fettnäpfchen warten darauf von der jungen Frau betreten zu werden. Und sie tritt breit hinein. Französische Kultur trifft auf japanische in einer wundervollen Graphic Novel. Das ist sehr amüsant. «Meines Erachtens kann kein Westler Haikus verstehen oder erschaffen. Sie vermögen es nicht.» Die Zeichnerin betritt eine neue Welt, lernt japanische Sagen und Fabelwesen kennen, wie das das sprechende Tanuki, ein Marderhund, der ihr die Essenz der japanischen Tuschemalerei erklärt: «Shodo vereint Sprache, Auge und Hand mit den tiefsten Gründen des Bewusstseins.» – Sie versteht nichts. «Sie werden es nie verstehen, weil sie nicht von hier sind.» Ein japanischer Zeichner wird ihr Begleiter, der ihr hilft, sich in der Kultur zurechtzufinden. Die junge Frau bemüht sich, nicht aufzufallen, was schwer gelingt, einschließlich eines versehentlich ausgelösten Tsunami-Alarms. Die Illustrationen sind im Stil Aquarell mit Federzeichnung als Grundlage angelegt, besonders haben mir die japanischen Landschaften gefallen. Mit viel Humor ist hier eine Auseinandersetzung zwischen Kulturen gelungen, auch der Tsunamischutz wird als Randthema mit all seinen Widersprüchen angesprochen. Die Natur einerseits als fundamentaler Teil der Identität, Kultur und Religion Japans, andererseits eine Bedrohung aus diversen Naturgewalten. Künstlerisch stilvolle Grafiken runden den Comic ab. Ein Lesevergnügen. Der Carlsen Verlag empfiehlt ein Lesealter ab 12 Jahren, ich würde es eher ab 13/14 empfehlen – Allage, na klar! Catherine Meurisse studierte Französisch und Literatur in Poitiers und anschließend Illustration - zunächst an der Estielle Schule in Paris und später an der École Nationale Supérieure des Arts Décoratifs. Seit 2001 arbeitete sie für das Satiremagazin «Charlie Hebdo», wo sie von 2005 bis zum Attentat 2015 Teil der Redaktion war. Sie überlebte den Anschlag, weil sie an dem schrecklichen Tag verschlief und zu spät zur Redaktionskonferenz kam. Sie veröffentlichte Karikaturen und Zeichnungen in Le Nouvel Observateur, Libération und weiteren Zeitschriften und illustrierte Kinderbücher. Daneben veröffentlichte sie zahlreiche Comics für Kinder und Erwachsene. Im Januar 2020 wurde sie als allererste Comiczeichnerin in die Académie des Beaux-Arts Sektion Malerei gewählt, wo sie aktuell auch das einzige weibliche Mitglied ist.

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