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gwyn

Posted on 24.10.2022

«Und nun war ich in einem Land auf dem Posten, wo Kühe auf endlosen Weiden lebten und stets die Asche von Grillkohle durch die Luft wirbelte. Wo Homo-Ehen, Abtreibungen und Marihuana legal waren. Wo grundsätzlich die Leute nur eine Hand frei hatten, weil sie in der anderen den Matebecher hielten, während im Nachbarland die Revolution losbrach.» Friederike Andermann, genannt Fred, ist eine erfahrene und ehrgeizige deutsche Diplomatin. Eine Frau, die nichts aus der Ruhe bringt; ihr Zuhause ist Deutschland, das jeweilige Konsulat, egal wohin man sie schickt. In Montevideo, Uruguay, wird die Fünfzigjährige erstmalig als Konsulin eingesetzt: Eine Frau, viel zu jung für den Posten, wispert es hinter ihrem Rücken. Fast hätte sie einmal geheiratet, doch ihr Partner wollte kein «MAP» (mitreisender Partner) sein - denn eine andere Übersetzung lautet: «Man at the pool». Kaum angekommen, wird sie vor ein Problem gestellt. Eine Frau ruft an; ihre Tochter sei verschwunden, sie habe seit 24 Stunden nichts mehr auf Instagram gepostet. Jooo, denkt sich Fred, wie schrecklich ... Wann mit der Tochter zuletzt gesprochen? Man spräche nie miteinander. Da die Mutter aber die Inhaberin einer großen deutschen Zeitung ist, kribbelt es Fred eiskalt den Rücken hinunter. Sie wird sich kümmern. Der Polizeichef, der sich gerade bei ihr vorstellt, verspricht ihr, sich dezent und privat in dem Pub umzusehen, aus dem der letzte Post kam. Und Fred ringt mit sich, Meldung zu machen. Man wird sie auslachen ... kein Post auf Insta! Sie muss den Empfang organisieren, Würstchen und Bier zum Tag der Deutschen Einheit. «Ich hatte mich für diesen Beruf entschieden, weil ich etwas bewirken wollte. Und jetzt hatte ich eine geschlagene Stunde über Grillfleisch und Bratwürstchen diskutiert.» Doch spät abends erinnert sie sich an das wichtigste Gesetz der Diplomatie: «CYA» (cover your ass), zuerst den eigenen A... retten, und sie gibt eine kurze Meldung nach Berlin. Es stellt sich kurz darauf heraus, die junge Frau wurde wirklich entführt – die Geschichte endet in einem Desaster. Auch für Fred. Sie wird nach Istanbul versetzt. «Wir raten ständig ab. Wir raten ab von Reisen in den Südosten, von sozialen Medien, von Demonstrationen, von Kundgebungen. Wir raten davon ab, die eigene Mutter im Gefängnis zu besuchen. Aber Abraten allein ist keine Diplomatie.» Überwacht vom türkischen Geheimdienst ist es nun ihre Aufgabe, deutsch-türkischen Künstler:innen zu helfen, die inhaftiert wurden. Kritiker werden in diesem Land in Scheinprozessen verurteilt. Was kann Fred bewirken? In ihrer Einsamkeit beginnt sie eine Affäre mit einem deutschen Journalisten, nicht ungefährlich für sie. Diplomaten-Alltag, tägliches oberflächliches Geschwätz, am Abend Partys, irgendwo gibt es immer einen Feiertag, zu dem man eingeladen wird. Wo sind wir denn heute Abend? Schweden, Japan, Polen? Rechtsstaatlichkeit und die europäischer Idee hat in der Türkei keine Chance, und so stößt die Diplomatie schnell an ihre Grenzen. In diesem Land kann sie rein gar nichts bewirken, nicht einmal etwas für die eigenen Landsleute. So sagt ihr Kollege: «Wir können uns dem türkischen Recht nicht widersetzen. Das wäre ein Fehler, und die Fehler machen immer noch sie, nicht wir.» Fred ringt mit sich, und sie ist eine Frau, die an Regeln gern Gummi zieht und sie auch einmal missachtet. Sie will mehr sein, als eine «von dem die Leute denken, dass wir das am besten können: lachen, lügen, Lachs fressen». Sie stellt sich und ihre Aufgabe oft in Frage, das mit trockenem Humor. Fred sucht einen Weg, die Türken auszutricksen, für sie selbst ein gefährliches Unterfangen. Ein sanfter Thriller. «Dann steht man da und ist nur Deutschland.» Süffige, spannende Unterhaltung, Problematiken werden angekratzt, die Wirksamkeit der Diplomatie in Frage gestellt. Gute Unterhaltung auf jeden Fall! Insgesamt hat mir ein wenig Tiefgang gefehlt; denn es gibt sie, die Diplomatie hinter verschlossenen Türen. Aber richtig, in einer Diktatur ist man der Willkür der Behörden ausgesetzt, ein offenes Ohr, Verhandlungsspielraum ist meist nicht existent. Wie wollen wir mit totalitären Staaten umgehen? Diese Frage stellt sich Fred. Empfehlung!

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