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gwyn

Posted on 9.10.2022

Der Anfang: «Eben frage ich mich, ob Menschen, die auf Inseln geboren wurden, mit dem Festland ähnlich tagträumerische Sehnsüchte verbinden, wie umgekehrt Festlandianer sie allgemein für Inseln empfinden. Vorstellen kann ich mir das nicht. Ich nehme an, dass sich geborene Insulaner auf dem Festland eher zurücksehnen nach ihrer Geburtsinsel, danach, wieder von Wasser umgeben und vom Festland abgesondert und damit etwas Besonderes zu sein. Nicht allein der sogenannte Brexit spricht für diese Vermutung.» Immer derselbe Urlaub: Wangerooge im Dauerregen, die Eltern im Dauerstreit. Der Inselurlaub der Kindheit ist nicht in guter Erinnerung. Und doch hat Bernd Eilert ziemlich viele Inseln bereist, von denen er uns berichtet. Auf die Île de Ré hat ihn seine Frau geführt. Ihr Charme äußert sich für den Autor durch den Mangel an offensichtlichen Sehenswürdigkeiten und zur Show getragenem Schischi. Die einzigen Sixpacks, die auf der Insel zur Schau getragen würden, findet man hier auf gerunzelten Stirnen. Ein idealer Ort für Müßiggänger und Entdecker! Wieder so ein Buch, an das ich völlig andere Erwartungen hatte, nämlich die an Nature Writing. Das Thema können wir streichen, fast, denn es gibt Einschübe wie diesen: «Die Palette der Insel tendiert hier zu den gedämpften Farbtönen alter Sofakissen, veloursartige Oberflächen, wie von feinen Fasern überzogen.» Es ist ein Plauderbuch über Gott und die Welt, voller Literaturzitate. Die Île de Ré ist eher ein kleines Nebenprodukt. Ein Buch für Müßiggänger und Entdecker, die den Plauderer mit seinem Humor genießen. «Als ich wieder ruhiger atmete, erklärte mir mein Vater, wie das Salzwasser in meinem Ohr den Orientierungssinn gestört hatte. Er sagte das beinah vorwurfsvoll, was aus dem Schock eine traumatische Erfahrung hätte machen können, für die Kinder ja besonders empfänglich sein sollen. Das Gefühl vollkommener Ohnmacht und extremer Hilflosigkeit war vorhanden. Die Herzlosigkeit meines Vaters führte bei mir indes zu einer Trotzreaktion. Dass ich ihm nicht mehr vertrauen konnte, stand für mich nun endgültig fest.» Geschichtliche Anekdoten – das beginnt gleich mit Paris, mit herrlichen Zitaten von Schriftstellern; der Leser gnickert vor sich hin. Französisch war nicht das Lieblingsfach von Eilert: «Allein schon die näselnde Aussprache, die vielen Sätzen einen Anklang von Benimmregeln verleiht und mich an affektierte Influencer und arrogante Oberkellner erinnert, hatte mich in der Schule davon abgehalten, anständig Französisch zu lernen.» Geschichtlich hat die Île de Ré einen typischen kurvigen Werdegang, wie viele ihrer Schwestern. Mangels Fläche spezialisiert man sich – und alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Salz, Wein, Fisch und Meeresfrüchte. Um 1900 grassierte die Reblaus – aus für den Wein; billiges Salz aus der Provence verdarb die Preise. Der wirtschaftliche Niedergang nach dem Ersten Weltkrieg brach wirtschaftlich den Hals. Das Meer ist leergefischt, der Tourismus macht den Kohl auch nicht fett. Allerdings hat sich eine gewisse Klientel von neuen Eigentümern vom Festland in den alten Häusern niedergelassen: «In den Inselhäuschen logiert zumindest in den Ferien die französische Bourgeoisie und genießt das, was sie vermutlich für das einfache Leben hält», wozu der Autor Walter Ulbricht zur Absicht des Mauerbaus zitiert. «Die verbotene Stadt in Peking könnte kaum besser geschützt sein als die meisten Ferienhäuser der Île de Ré.» Eilert präsentiert uns seine Apologie der Schickimickis oder sinniert über Besucher und Besatzer der Insel. Wir erfahren Privates, über die z.B. die ersten Jahre in Frankfurt, als Eilert bei F.K. Waechter einzog (der damals noch für die «pardon» arbeitete), etwas über die Gründung der Satirezeitschrift «Titanic» und der «Neuen Frankfurter Schule», sowie die Beziehung des Autors zu Otto Waalke. «Etwa 100.000 Menschen wurden von Saint-Martin aus verschifft, viele starben schon auf der Überfahrt nach Südamerika. Gegenwärtig sitzen die meisten Gefangenen im Hochsicherheitstrakt der Zitadelle lebenslänglich.» Aber es geht in diesem Band um vieles mehr. Bernd Eilert ist ein Plauderer. Und während er erzählt, kommt er vom Hölzchen aufs Stöckchen, zitiert bekannte Autoren zum Thema. Weil er das mit subtilem Humor schafft, konnte er mich bei Laune halten. Am Ende stelle ich fest, die Île de Ré ist nur ein Nebenprodukt in diesem Buch. Inseln, Historisches, Anekdoten, Zitate, Weltbewegendes – herrlich amüsant. Frankreich, Liebe und innerer Widerstand in einem deutschen Herzen – aber wie sagte bereits Goethe (Zitat in diesem Buch): «Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzosen leiden – doch ihre Weine trinkt er gern.» Eben ein Inselbuch, Reiseliteratur, Empfehlung für Müßiggänger und Entdecker, die einen Plauderer mit subtilem Humor genießen. Bernd Eilert, geboren 1949 in Oldenburg, lebt seit gut 50 Jahren in Frankfurt a.M., wo er zur Neuen Frankfurter Schule gehört. Er war u.a. Mitbegründer der Zeitschrift »Titanic«; eine andauernde Zusammenarbeit verbindet ihn mit dem Komiker Otto Waalkes. Für sein Schaffen als Erzähler und Übersetzer wurde Eilert mit dem Preis der LiteraTour Nord und dem Binding-Kulturpreis ausgezeichnet.

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