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Der Anfang: «Ich habe noch nie verstanden, warum die Erwachsenen den Kindern einreden, es lohne sich, artig und gehorsam zu sein. Wäre ich eine gehorsame Tochter gewesen, stünde heute mein Name in den Grabstein gemeißelt – so wie die Namen von Mamas Eltern, Oma Elsa und Opa Ervin, die lange vor meiner Geburt verstorben waren, oder Oma Ludmila und Opa Mojmír, an deren Grab Mama und ich jedes Mal kleine braune Grablichter anzündeten, obwohl wir dafür bis ans Ende des Friedhofs gehen mussten.» Ein Kind will dabei sein, schon gar nicht als feige gelten. 1954, der zugefrorene Fluss taut, und es ist Zeit für den wagemutigen Ritt auf einer Eisscholle. Trotz Verbot der Mutter versucht Mira, auf eine Scholle zu springen. Triefendnass erwartet sie zu Hause als Bestrafung das wohl das Übliche: Erbsenpüree zum Abendessen, während alle anderen schlemmen. Denn Mira hasst nichts mehr als Erbsenpüree. Doch weil Mama Geburtstag hat, darf sie das Festmahl mitessen – bis auf ... Am nächsten Tag bricht eine Typhus-Epidemie in der mährischen Kleinstadt aus, Quarantänemaßnahmen werden eingeleitet. Die Erinnerung an die Corona-Pandemie wird beim Lesenden wach. Innerhalb weniger Tage platzt das Krankenhaus aus allen Nähten und viele Menschen sterben. Die neunjährige Mira, muss bei der Familie der Freundin ihrer Mutter einziehen, weil der Rest der Familie im Krankenhaus liegt. Ein weiteres Drama entwickelt sich, als ihre gesamte Familie verstirbt, sie nun Vollwaise ist. Die Kinder in dieser fremden Familie hassen sie. Doch dann steht plötzlich Tante Hana vor der Tür und holt Mira ab. Wie hatte sie als Einzige überleben können? Was will diese spindeldürre verhuschte Frau von ihr, die immer die gleichen schwarzen Sachen anhat, trockenes Brot in den Taschen trägt, die nur einmal in der Woche zum Einkauf das Haus verlässt? «Weil ich jetzt nicht mehr sterben kann,» sagt sie zu Mira. Kann es gutgehen, allein mit ihr im Haus der Großeltern zu wohnen, einer Frau, die sich versteckt, die nur spricht, wenn es nötig ist? «Mein Name ist nur deshalb nicht unter den in Gold ausgeführten Inschriften auf den Grabsteinen, weil es sich manchmal lohnt, ungehorsam und frech zu sein. Wenn Sie damit nicht einverstanden sind, lesen Sie nicht weiter. Und geben zur Sicherheit dieses Buch nie Ihren Kindern in die Hand.» Selten konnte eine Autorin mich so offensichtlich – aber eben mit Erfolg – in ihre Geschichte locken. Was ich euch erzähle, ist schrecklich. Verbotenes! Ungeheuerliches. Die Namen von Generationen einer Familie auf dem Grabstein, alle viel zu jung gestorben – nur zwei haben überlebt. Und es lohnt sich absolut, hier weiterzulesen! Im zweiten Teil erfahren wir die Geschichte der halbjüdischen Familie, die die Möglichkeit zum Auswandern im Dritten Reich gehabt hätte, sie gutgläubig verpasste. Die patente Mutter ahnt nichts Gutes, als alle Juden zur Deportation nach Theresienstadt antreten müssen. Die jüngere Tochter, Rosa, kann sie bei einer Familie verstecken, für Hana findet sich niemanden, der das Risiko auf sich nimmt. Rosa überlebt unversehrt und bringt später Mira zur Welt. In Theresienstadt wird der Rest der Familie getrennt. Hana wird später nach Auschwitz verlegt; sie überlebt völlig traumatisiert. Perspektivwechsel von Mira zu Hana nach dem ersten Abschnitt. Nun hat Hana das Wort, und ihre Geschichte im dritten Abschnitt erschüttert. In der Mitte finden wir eine Familiengeschichte, die mit Intrigen, Eifersucht, Liebe, Leid, Lüge, Enttäuschung und Verrat gespickt ist, voll gesellschaftlicher Ausgrenzung durch den wachsenden Antisemitismus. «Eine Seele, die aus dem Menschen einen Menschen macht, gab es in mir nicht. Sie war mit meiner Familie nach Osten gefahren, in den Theresienstädter Straßen verlorengegangen, im Viehwaggon Richtung Osten hängengeblieben, im Lagermorast steckengeblieben und in den Auschwitzer Öfen verbrannt.» Eine spannende Geschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert, temporeich, schnörkellos, mit Humor dort, wo er hinpasst. Was kann ein Mensch alles ertragen? Und was wird aus ihm, wenn er sich ständig die Schuld für Geschehnisse gibt? Hier hängt alles mit allem zusammen. Fein gezeichnete Charaktere zeichnen die Geschichte aus. Die erste Perspektive gehört der temperamentvollen Mira, dem Kind, das Schreckliches erlebt, das der gebrochenen Tante Hana zugeteilt wird. Und dann erleben wir eine junge Hana, voller Lebenslust und Pläne ... Das ist geschickt gesetzt, gibt einen emotionalen Kitzel; der Leser will wissen, was geschah. Alena Mornštajnová hat für diesen Roman den Tschechischen Buchpreis erhalten, ganz sicher verdient. Eine wahre Familiengeschichte verwoben mit historischen Ereignissen, spannend und literarisch klug geschrieben. Ein Familienroman, der unter die Haut geht. Empfehlung! Alena Mornštajnová, geboren 1963, ist eine tschechische Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie schrieb vier Romane und ein Kinderbuch. Sie studierte Englisch und Tschechisch an der Universität Ostrava. Ihr Debüt gab sie 2013 mit dem Roman «Slepá mapa» (Blinde Karte) und 2015 erschien ihr zweiter Roman «Hotýlek» (Das kleine Hotel). Vor allem auf Grund ihres dritten Romans, «Hana», für den sie den Tschechischen Buchpreis erhielt, zählt Alena Mornštajnová seit 2017 zu den beliebtesten zeitgenössischen tschechischen Schriftsteller:innen.