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«Kochen! Nicht nachkochen!» Mercedes Lauenstein und Juri Gottschall haben sich mit ihrem Onlinemagazin «Splendido» den Ruf erarbeitet, authentische Botschafter der echten italienischen Esskultur zu sein. Sie präsentieren die Prinzipien moderner italienischer Küche, erklären, worauf es bei Einkauf und Zubereitung von Lebensmitteln ankommt. In diesem Kochbuch haben sie aus der Fülle ihrer Rezepte die besten zusammengefasst. Sie tischen traditionelle italienische Gerichte auf, die es in die Reihe der Rezeptbücher bisher nicht geschafft haben, ebenso Klassiker im modernen Style, dazu eigene Kreationen. Auf die Frische kommt es an. Und interessant – es wird auf Mengenangaben verzichtet: «Wie die italienische Nonna, die auf die Frage, wie viel von welcher Zutat man nehmen solle, oft nur ‹quanto basta› sagt», soll der Leser «Kochen! Nicht nachkochen!». Ausnahmen beim Dessert und Backen, da hier bestimmte Komponenten zusammenspielen müssen. Ein Buch, das mich begeistert hat, weil wirklich Neues präsentiert wird, in frischer eleganter Art, alles Rezepte, die man sofort umsetzen möchte; eine Liebeserklärung an die italienische Küche! Die Rezeptfolge ist klassisch: Antipasti, Primi, Secondi, Contorni und Dolci. Eine Handvoll Zutaten, manches ist schnell zubereitet und anderes benötigt Geduld. Wer kennt das nicht: während die Sugo zur Pasta stundenlang vor sich hinblubbert, probiert der Kochende gern mit einem Löffelchen am Rand die Soße. Klar, da schmeckt es am besten. In diesem Buch gibt es ein Experiment: Vorsichtig während des Kochvorgangs den Rand abschöpfen, in einer separaten Schüssel sammeln, bis kaum noch Soße übrig ist, lediglich ein dunkelroter, dicker Brei. Das Ganze mit den Nudeln zusammenbringen – gibt verschiedene Möglichkeiten. Garantiert ein Geschmackserlebnis! Bei den Antipasti finden wir gleich zwei ungewöhnliche rohe Gemüsegerichte: mit Spargel und Artischocken, Spargel roh noch gängig, aber die Artischocken sind neu für mich. Roh, im reinen Zustand; einige Rezepte folgen. Rohe grüne Mandeln haben mich fasziniert. Nur woher soll ich sie bekommen? Von Amerikanern weiß ich, dass sie junge Erdnüsse mit Schale einlegen, soll lecker sein – auch noch nie probiert. Die Zutaten in diesem Kochuch sind fast alle gut zu erhalten. Favabohnen und Mönchsbart gibt es zumindest bei uns in der Schweiz beim guten Gemüsehändler. Wilder Mohn, nun ja, am Feldesrand und die Zucchiniblüten – die haben viele im Garten. Irgendwann im Sommer wächst das Gemüse wie Unkraut und man ist sicher froh, vorher ein paar Blüten abzuknipsen. Der «Unfehlbarer Kartoffelsalat» ist einer, der immer gelingt – klingt gut, aber für mich bitte ohne Sardellen. Begeistert hat mich «Biancaneve», ein schneeweißer Risotto in Milch, mit der Schale von Bergamotte oder Zitrone gekocht, mit Butter, Stracchino (it. Frischkäse) und Parmesan abgeschmeckt. «Jüdische Artischocken» ein Rezept aus der Römerzeit; in Andalusien sind die zweimal frittierten Artischocken ein traditionelles Rezept. «Canelli-Bohne, Retterin in der Not!» Ein vielfältiges Gemüse wird kurz mit vielen Möglichkeiten der Verwendung beschrieben und ein Rezept dazu lautet: «Die Eleganz der Dosenbohne». «Testaroli», weder Pfannkuchen, noch Nudel, wird in der Pfanne gebraten – oder diese herrlichen Bällchen: Ricottawölkchen als «Nahtlos gefüllt». Weiße Radicchiowickel, «Involtini Medolese», die u. a. mit geschälten Mandeln und Parmesan gefüllt werden – ebenso interessant, die Auberginenröllchen, «Melanzane a Beccafico». Ein toskanischer Tintenfisch-Eintopf, «Moscardini in Zimino». Einfacher und geschmackvoller geht es nicht: Artischocken mit Kartoffeln, «Carciofi e Patate in Umido» oder «Patate Maritate», Kartoffeln mit Mozzarella und Parmesan. Und hier eine weitere kleine Auswahl: Soffrito mit Burrata; Spargel mit Bozner Sauce; frittierte Zucchiniblüten; Gnocchi mit Kalbsragù; Tortelli di Zucca (mit Kürbis gefüllt); gefüllte Artischocken; Pepose aus der Toscana; Ofenradicchio; Strozzapreti mit grünem Spargel; Fregola Sarda al Pomodoro (Breite Bohnen in Tomatensauce); pochiertes Ei auf Kartoffelpüree mit Trüffel; Schmorhuhn in Weißwein mit Pinienkernen und Rosinen; geschmorte Rindsbäckchen auf cremigem Kartoffelpüree; Porchetta; Torta con Crema e Lamponi, Gelo die Anguria, Zabaione, Panna Cotta, Biscotti Morbidi alle Mandorle; Zabaione; Torta di Rose uvm. «Ich finde es so witzlos wie Malen nach Zahlen, mich beim Kochen penibel nach Zutatenliste und Mengenangaben zu richten, mit aufgeschlagenem Kochbuch in der Küche zu stehen und alle 15 Sekunden nachschauen zu müssen, ob ich noch richtig liege in meinem Vorgehen. Kochen ist für mich Meditation und Entspannung und keine Hausaufgabe aus dem Chemieunterricht», So Mercedes Lauenstein, in einem Artikel auf Splendido. Sie versteht unter einem Rezept eine «freundliche Handreichung», wie passt etwas zusammen, wie kombiniert man es. Danke. So sehe ich es auch. Ein Rezept nehme ich persönlich auch lediglich als Anregung – rein nach Liste koche ich nie. Dieses Kochbuch ist ein Bravourstück in Schlichtheit, Anmut und Ästhetik. Alle Gerichte sind mit kühlen Hintergründen so fotografiert, wie sie serviert werden, ohne Deko-Schischi und dekorativ gedrehten Nudeln. Schlichte Zutaten, aromatisch zusammengefügt mit Hintergrundwissen zu den Rezepten angereichert. Wer die italienische Küche mag, sollte sich dieses Kochbuch – Entschuldigung – diese «freundliche Handreichung» nicht entgehen lassen! Kulinarisches auf hohem Geschmacksniveau. Mercedes Lauenstein, und Juri Gottschall leben zusammen in München und Norditalien und haben 2015 das Splendido Magazin gegründet. Seitdem recherchieren und schreiben sie gemeinsam über Italien, gute Produkte, Kochen und Konsumkultur: splendido-magazin.de