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Marcus Jordan

Posted on 4.10.2022

Ich war regelrecht etwas beschämt, wie wenig Ahnung ich hatte von Chinas Geschichte im 20. Jahrhundert. schon ein paar Kennzahlen und Begriffe, aber wirklich kaum Details. Die Geschichte einer Familie etwa von 1900 bis 1978, dem Ende der Kulturrevolution. Erschütternde Geschichten aus einem Land, das humanistisch spät aus dem Mittelalter aufgebrochen ist und eigentlich nur um fast sofort wieder in einem neuen Greuel zu verschwinden. Die Geschichte unterdrückter, unfassbar starker Frauen. Und die Geschichte Maos, eines Mannes, der es in Menschenverachtung und grausamer Gleichgültigkeit leicht aufnahm mit Hitler und Stalin, mir aber aber noch viel "zufälliger", irgendwie noch viel dümmer erscheint, als die beiden (wenn man das sagen kann). Und genau das war mir nicht klar. In Berlin gab es ein wunderbares, chinesisches Restaurant mit einem Pop-Art-Konterfei von Mao als Logo. Ich fand das irritierend, aber wusste nicht, wie völlig pervers es ist. Die Details des Wahnsinns sind so krude, dass ich anfing parallel die Aussagen im Netz zu checken. Könnt ihr euch sparen: sie stimmen alle. Der Terror des Kollektivs gegen das Kollektiv. Die willkürlich festgelegte Tugend und Sünde. Die tatsächliche Bedeutung des Verlusts von Freiheit. Eine Kur für alle, die vielleicht angesichts all der unsäglichen Verfehlungen des Westens vergessen haben, wie unsäglich der Verlust von Rechtsstaat und Meinungsfreiheit ist. Um ehrlich zu sein, habe ich auch an überschnappende PC denken müssen. Aber das Buch ist wunderbar geschrieben, bildgewaltig, genau beobachtet, stimmungsstark und irgendwie auf eine ganz selbstverständliche Art warmherzig. So ist es viel, viel mehr als nur historischer Schrecken und interessante, politische Beobachtung. Es ist eine der wunderbaren, intensiven, ganz persönlichen Zeitreisen, die es eben nur in der Literatur gibt.

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