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Die Markierung – Frida Isberg Kann man durch einen psychologischen Test Charakterschwächen ausfindig machen und daraus Neigungen zu einer eventuellen kriminellen Zukunft ableiten? Möglich. Doch ist es auch ethisch vertretbar, die Bevölkerung dazu zu zwingen, ebendiese Testergebnisse öffentlich zu machen und diverse Einschränkungen und Anfeindungen in Kauf zu nehmen? Genau das ist es, wovon Frida Isberg in ihrem dystopischen Roman erzählt. Island wählt demnächst eine neue Regierung. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass diese eine Markierungspflicht beschließen wird, das heißt, jeder ist verpflichtet, den Empathietest (der bereits gang und gäbe ist) zu absolvieren und das Ergebnis offenzulegen. Frida Isberg stellt vier Personen aus der Mitte dieser fiktiven Gesellschaft vor. Ein Befürworter und drei Kritiker, Gegner, Opfer des Systems. Schon vor Inkrafttreten des geplanten Gesetzes sind die nicht Markierten allerlei Repressionen ausgesetzt. Arbeitgeber, Hauseigentümer, etc. setzen auf vorauseilenden Gehorsam und political correctness und schließen diese schon mal aus. Karrieren, Existenzen, Beziehungen scheitern. So arg viel an Handlung passiert in dieser Geschichte gar nicht. Die Karten liegen von Anfang an auf dem Tisch, das ist die Realität, die es zu akzeptieren gilt. Die vier Figuren, die wir begleiten dürfen, haben damit klarzukommen. Ganz viel passiert einfach in ihren Köpfen. Isberg legt ihre Sorgen und Nöte, Gedanken und Gefühle offen. Dabei geht sie richtig in die psychologischen Tiefen. Der Empathietest, um den sich alles dreht, bleibt dabei selber recht vage. Aber darum geht es der Autorin wohl gar nicht so sehr. Viel wichtiger scheinen ihr die moralischen Aspekte zu sein. Was passiert mit denen, die den Test nicht bestehen, was mit zwischenmenschlichen Beziehungen und gesellschaftlichen Verwerfungen? Es stellt sich zudem die Frage, ob der Empathietest wirklich schuld ist am Unglück der Verweigerer und Durchgefallenen, oder ob er nur Dinge offenlegt, die ohnehin in der Gesellschaft und im Einzelnen schlummern. Möglicherweise beschleunigt er manche Entwicklung einfach nur. Der Leser ist gefragt, sich seine eigenen Gedanken zu machen. Dabei muss man sagen, dass diese Dystopie gar nicht sonderlich dystopisch wirkt. Vieles aus dem Roman ist bereits Realität, oder zumindest nahe dran. Zoe beispielsweise ist ein etwas intelligenteres Äquivalenz zu Alexa. Spätestens seit den Corona-Regeln und den gesellschaftlichen Disputen der letzten Jahre, weiß man, wie schnell Einzelne Anfeindungen und Ausgrenzungen ausgesetzt sind. Wobei man da nur Menschen mit der „falschen“ Hautfarbe o.ä. fragen muss, um zu erfahren, dass solche Dinge totgeschwiegener Alltag sind. So gesehen könnte dieser Roman aktueller gar nicht sein. Sprachlich empfand ich dieses Werk als eher unauffällig. Die vielen isländischen Namen, teils sogar mit fremden Schriftzeichen, machen den Einstieg nicht allzu leicht. Später fällt das aber kaum noch auf. Allerdings bleibt der Erzählstil stets recht distanziert. Wirkliche Nähe zu den Protagonisten stellt sich leider nicht ein. Eine Lektüre, die Sprengstoff birgt und zum Nachdenken anregt. Sehr lesenswert! 4 Sterne.