kingofmusic
Der ukrainische Döblin Es gibt ja Bücher, die einem mehr oder weniger durch Zufall „über den Weg laufen“. So auch „Die Stadt“ des ukrainischen Schriftstellers Walerjan Pidmohylnyj, von dem ich im zwitschernden Netzwerk gehört bzw. gelesen hatte. Als mir dann noch gewahr wurde, dass das Buch beim kleinen, dafür aber umso größeren Guggolz-Verlag (Buchnerds wissen was ich meine *g*) veröffentlicht wurde, stand fest „Muss ich kaufen!“ Also direkt bestellt, flott geliefert und jetzt gelesen. Und was soll ich sagen: das Buch steht auf dem Treppchen der „King´s Crown Juwels 2022“; egal, ob Gold, Silber oder Bronze (ich tendiere zu Ersterem, aber wer weiß, was noch kommt *g*). Eine ganze Reihe an (studentischen) Übersetzerinnen und Übersetzern (Alexander Kratochvil, Lukas Joura, Jakob Wunderwald und Lina Zalitok, die auch zusammen mit Susanne Frank das lesenswerte und durchaus erhellende Nachwort verfasst haben) hat diesen ursprünglich 1929 erschienenen Roman übersetzt, der somit fast 100 Jahre auf eine deutsche Veröffentlichung „gewartet“ hat. Aber besser spät als nie :-). Der vom Land stammende Stepan kommt in „Die Stadt“ Kyjiw (Kiew), um dort zu studieren. Der etwas „holprige“ Start (Unterkunft in einer Tischlerei zwischen Sägespäne und Holzbrettern) hindert den jungen Mann nicht daran, die Stadt und seine Bewohner eingehend zu beobachten, (lukrative) Freundschaften zu schließen und sich ins Großstadtleben, aber auch in sein Studium zu stürzen. Allerdings geraten seine diesbezüglichen Pläne immer mehr ins Hintertreffen, da es noch eine andere Leidenschaft gibt: die Schriftstellerei. Und so werden die Leserinnen und Leser Zeuge, wie Stepan immer mehr in die ukrainische Literatur-Szene eintaucht und sich zu einem gefragten Übersetzer und Autor mausert. Was diesen Strang der Erzählung anbelangt, ist der Roman stark autobiografisch geprägt, wie sowohl das kurze, persönliche Nachwort des Autors als auch das bereits angesprochene Nachwort der Übersetzer deutlich macht. Der tiefe Blick in die (ukrainische) Literatur- und Lyrikszene ist durchsetzt mit immer wieder durchblitzenden tiefsitzenden Selbstzweifeln Stepans. Das ist an der ein oder anderen Stelle durchaus plausibel, manchmal möchte man ihn aber auch ob seiner Naivität oder seines „sich hängen lassen“ packen, schütteln und zum Aufwachen bringen. Aber gut – das ist die Schule des Lebens ha ha ha. Der Ton der Erzählung passt sich den jeweiligen Abschnitten an. So gibt es neben hektischen Großstadt-Abschnitten poetisch-warmherzige Passagen, in denen die Natur, die Parks, das Wetter etc. das „Sagen“ haben. Demgegenüber stehen philosophische Betrachtungen als auch herrlich „schräge“ Bilder. Ein Beispiel für Letzteres: „Ich habe den Schriftsteller immer mit dem Bäcker verglichen. Aus einer kleinen Teigkugel bäckt er einen Laib Brot. Er hat einen guten Ofen, verwendet gute Hefe, und er ist sich nicht zu schade, den Teig für Monate, ein Jahr oder viele Jahre zu kneten. Aber wenn er scheu ist, wenn er sich vor seinen eigenen Gedanken und vor dem, was andere denken, fürchtet, dann sollte er lieber seine Bäckerei schließen und Volksschullehrer werden.“ (S. 253 ff) Neben der großartigen Übersetzungsarbeit wertet das Buch auch noch ein umfangreiches Glossar auf, in dem die wichtigsten Schlüsselbegriffe (Orte, Namen von Autoren, Abkürzungen etc.) teils ausführlich erläutert werden. Vielleicht wäre es hier hilfreich gewesen, die im Glossar fett gedruckten Wörter im Text ebenso fett zu drucken oder anderweitig auf den Anhang aufmerksam zu machen. Aber das ist hier jammern auf allerhöchstem Niveau und schmälert meine Begeisterung für diesen Text, der meiner Meinung nach einem „Berlin, Alexanderplatz“ von Alfred Döblin in nichts nachsteht, in keinster Weise. Und so bleibt mir am Ende nichts weiter übrig, als (mindestens *g*) 5* aus meiner Schublade zu holen und eine absolute Leseempfehlung auszusprechen! ©kingofmusic