wandanoir
Die Sehnsucht nach Sicherheit Aus drei Perspektiven schaut man auf das Geschehen in Island. Vetur fühlt sich von ihrem Expartner gestalkt, Eyjal, eine andere Frau, wurde von ihrem Partner verlassen und versucht, ihn zurückzugewinnen, nicht unbedingt mit ethisch vertretbaren Mitteln, Tristan ist einer, der aus dem System zu fallen droht. Das System: Die isländische Gesellschaft befindet sich im Umbruch. Aus mancherlei Gründen ist die Sehnsucht nach Sicherheit das beherrschende Element. „Die Markierung“ beruht auf einem Empathie-Test, den der einzelne machen kann oder auch nicht. Noch ist er freiwillig. Wer ihn besteht und also ein empathiefähiger Mensch ist, wird bevorzugt, Wohnung, Job, Bezahlung, gesellschaftliches Ansehen, Partnerschaft. Die herrschende Partei möchte den Test zur Pflicht erheben und die Opposition arbeitet dagegen. Sie möchte die Aufgabe jeglicher persönlicher Freiheit nicht für die Sicherheit opfern, zumal sie auf Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten des neu gewollten Systems hinweist und diese auch belegen kann. Der Kommentar: Den Konflikt zwischen denen, die eine höchstmögliche Sicherheit des Individuums für das erstrebenswerteste Ziel innerhalb einer Gesellschaft halten und denen, die die Freiheit für das höchstrangige Gut halten, der Konflikt zwischen diesen beiden Polen ist längst auf dem Tisch. Noch lavieren wir im Westen fast immer in der Mitte, aber das Pendel kann jederzeit nach rechts oder nach links ausschlagen. Einen Rechtsruck sehen wir in anderen Demokratien um uns herum. Für beide politische Richtungen gibt es sicherlich gute Gründe. Aber natürlich wäre es das Beste, wir würden weiterhin versuchen, in der Mitte zu bleiben. Frida Isberg stellt innerhalb ihrer höchst unterhaltsamen Dystopie „Die Markierung“ beide Gesellschaftsmodelle vor und zeigt auf, was es kostet, wenn eine Seite gewinnt. Egal, welche es ist, der Verlust ist immens. Egal, welche Seite es wäre, bei uns, in Real Life, in good old germany, der Verlust wäre immens. Trotz sprachlicher Schlichtheit bis Einfältigkeit, langen Monologen und trotz verwirrender Personalaufstellung, gelingt dieser Roman. Weil er so aktuell ist und weil er die Spannungskurve hält. Man ist gespannt, wann man endlich hinter die Geschehnisse kommt: was passiert da eigentlich? Die Autorin hält das Interesse wach, indem sie erst nach und nach preisgibt, was es Neues in der Gesellschaft gibt und wohin es führt. Was ist „die Spur“, was „die Begleitung“ und was hat es damit auf sich, dreimal die Neun zu murmeln? Fazit: Wahrscheinlich spricht der Roman trotz mancher gestalterischer Schwäche deshalb so an, weil es so leicht ist, sich damit zu identifizieren. Es wäre freilich schön gewesen, wäre die Autorin an manchen Stellen mehr ins Details gegangen. Besonders der Empathie-Test ist arg schlicht. Außerdem dürfte sich seine Wirkung mit der Zeit abnützen. Außenpolitik wurde ganz ausgespart. Aber Frida Isberg schafft es dennoch, die Leserschaft neugierig zu halten, auch mit geringen erzählerischen Mitteln. Das ist auch eine Kunst! Nun stellt sich nur noch die Frage, ob wir uns markieren lassen und ob wir den Empathietest bestehen könnten. Wie empathisch bist du? Kategorie: Dystopie Verlag: Hoffmann & Kampe, 2022