Bris Buchstoff
Eine Gewissensfrage Es gibt Bücher, an deren Tür klopfe ich mehrfach, aber mit mäßigem Erfolg. Ich komme bis in die Eingangshalle und wenn ich weitergehen will, dann klemmt die nächste Tür. Sie ist nicht komplett versperrt, aber so richtig komme ich nicht durch. Manchmal liegt das an meinem zu großen Rucksack, mit dem ich, vollgestopft mit Erwartungen wie er ist, nicht durch die Tür passe. Manchmal liegt es daran, dass der Text und ich verschiedene Sprachen sprechen. In beiden Fällen lohnt es sich meist, später erneut anzuklopfen. Im Fall von Thomas Arzts Roman „Die Gegenstimme“ war das so, aber ich benötigte die Hilfe eines Übersetzers: das Hörspiel zum Roman. Der Plot von Arzts Roman ist denkbar einfach, aber nicht minder spannend. Zumal er auf realen Begebenheiten in Arzts Familie fusst. 10. April 1938, der Tag der Entscheidung über den Anschluss Österreichs an das Dritte Reich. Der Student Karl Bleimfeldner kehrt an diesem Tag zur Abstimmung in seinen Heimatort zurück. Wir begleiten Karl auf seinem Weg und was sofort und fast physisch greifbar wird, ist die Distanz, die zwischen ihm und den früheren Nachbarn nun klafft. War er früher doch irgendwie Teil der Dorfgemeinschaft, wenn auch aufgrund seines Bildungsgrads nicht vollwertig, so empfinden ihn die Dörfler jetzt ganz klar als nicht mehr zugehörig. Und allen ist klar, wenn jemand gegen den Anschluss stimmt, dann der Karl. Was Arzt aus der ohnehin schon beklemmenden Situation macht, zeigt, dass er sein Handwerk, was Spannungsaufbau angeht, virtuos beherrscht. Einmal in den Handlungsstrom geraten, lässt einen der Sog kaum mehr los. Ein wenig merkt man, dass er vom Theater kommt, das tut dem Roman, hat man sich an die Sprache gewöhnt, keinen Abbruch. Nach und nach macht er die Leser:innen mit den Gegebenheiten im Dorf und den Bewohner:innen vertraut. Wurde zunächst ausgeschlossen, wer eine Affinität zu der faschistischen Partei über der Grenze hatte, ist nun derjenige außen vor, der dem Anschluss kritisch gegenüber steht. Das merken auch die Bleimfeldners, deren Einnahmen aus ihrem Geschäft immer weniger werden. Ein bisschen Zweifel daran, wer nun die einzige Gegenstimme gegen den Anschluss sein wird, streut Arzt mit der geschickten Darstellung einzelner Personen, die nach außen anders wirken, als es ihr gezeigtes Innenleben vermuten ließe. Sie sind die Dorfbewohner, die vielleicht ein wenig unterschätzt, aber dafür auch vor dem Fanatismus mancher Befürworter geschützter sind. Dadurch entsteht ein interessantes und vielschichtiges Gesellschaftsbild, das von diesem Ort ausgehend wohl auf das ganze Land übertragen werden kann. Mein Übersetzer, das Hörbuch oder fast Hörspiel, hat mir geholfen, den Sound des Romans zu knacken und damit die Türen weit aufgestossen. Ein wenig hatte ich während der Lektüre immer die Assoziation zu Gabriel Garcia Marquez „Chronik eines angekündigten Todes“. Ich verfolgte bei beiden Geschichten gleichermaßen atemlos die Entwicklung der Geschehnisse. Mein Fazit: Lasst euch auf den Sound der Geschichte ein und ihr werdet ein außergewöhnliches, großartiges Lektüreerlebnis erfahren. Und wenn es, wie bei mir geschehen, nicht auf Anhieb klappt, holt euch einen Übersetzer.